Erster April. Samstag. Wir starten.

Das Womo kann heute losfahren, denn es ist der erste Tag des Saisonkennzeichens und das passt in diesem Jahr hervorragend. Papa bringt den „Dicken“ vorbei. Über 20 Jahre und ziemlich viele Tausend Kilometer auf dem Buckel läuft er immer noch zuverlässig und das ist die Hauptsache. Allerdings nehmen die kleinen Macken zu, so wie bei mir ja auch…. Bevor ich noch die Wartburg zu Gesicht bekomme, muss ich viermal rausfahren, nicht weil der „Dicke“ Blasenschwäche hätte, nein, die Eingangstür öffnet sich während der Fahrt – nicht gut!

Beim ersten Mal denkst du ja noch: „Nicht richtig zugemacht, ich Trottel!“, Beim zweiten Mal schließt du mit dem Schlüssel von außen ab, aber beim dritten Mal bist du erstmal ratlos.

Zuerst mache ich mich auf die Suche nach einem Strick, damit die Tür wenigstens nicht in den Kurven komplett aufschwingt, sondern bis zum nächsten Parkplatz hält. Dafür eignet sich meine Stirnlampe hervorragend, das Gummiband hält die Tür fest. Doch auch mit Stirnlampensicherung ist das Problem noch nicht behoben. Der Bügel, an dem sich die Türverriegelung festklemmt, ist einfach zu klapprig. Den musst ich nach unten drücken… dann hälts. Da fallen mir zwei Nagelfeilen in die Hände und ich stopfe sie dazwischen. So sieht meine Konstruktion nun aus… und hält. Ich hätte Ingenieur werden sollen. 😜

So kann ich ganz beruhigt weiterfahren. Den Samstagabend verbringe ich bei meiner Schwester in Wiesbaden und wir haben Spaß mit unseren Hunden. Nach langem ausgiebigen Abendschwatz verziehe ich mich in mein Womo auf dem Parkplatz am Sportplatz. Den Ort finden aber auch vier junge Kerlchen mit Chips und Cola super und quatschen bis Mitternacht, bevor sie mit ihren Autos davonröhren. Dann ist auch für Luna und mich endlich Nachtruhe. Der Regen tröpfelt leise aufs Dach und wir schlafen wunderbar.

Die Fahrt nach Colmar am nächsten Tag zieht sich ganz schön in die Länge und wir machen Rast an einem Naherholungsgebiet nahe Straßburg. Hier kann man in den Rheinauen wunderbar wandern. Allerdings wird unsere geplante Route von zwei harten Fakten verkürzt: dem scheußlichen Regenwetter und einer gesperrten Brücke auf halber Strecke. Luna fands trotzdem super und ich war auch froh über frische Luft und Bewegung.

Ich überlege fast, hier stehen zubleiben, fahre dann aber doch weiter. Um Straßburg herum in allen Abfahrten Durchfahrtverbotenschilder und darunter eine Tafel mit den Kategorien 1-4… vermutlich ist hier überall Umweltzone. Und wenn hier bis vier gesperrt ist, käme ich noch nicht mal mit dem Caddy rein??? Haben die andere Kategorien??

Straßburg mit Womo wird also nichts und ich befürchte schon, dass es in Colmar ähnlich wird… aber nein. Alles egal, ich darf ohne Sorgen hineinfahren. Am Stadtrand begrüßt uns eine ziemlich große Freiheitsstatue. Die leitet dann auch in der Stadt den geneigten Toristen durch die Fußgängerzone. Nein. Nicht persönlich, sondern auf so kleinen, in den Asphalt eingegossenen Messingschildchen. 

Ganz in der Nähe des Zentrums gibt es einen sonntags kostenlosen Parkplatz für Womos und wir sind in 5 Minuten mitten im wunderhübschen Zentrum. Dort werden wir von Glocken begrüßt.

Und etwas später empfangen uns ziemlich viele Asiaten mit den obligatorischen Handys in Schussposition. Zählt das eigentlich schon zu Straßensperrungen, so wie die hier die Straßen dicht machen 😜

Sie haben einen der Hotspots im Visier: das Maison Pfister – ein 1537 für den reichen Hutmacher Ludwig Scherer erbautes Haus. Die Fassadengemälde zeigen deutsche Kaiser des 16.Jahrhunderts und biblische Szenen. Der namensgebende Herr Pfister kaufte das Haus übrigens erst im 19.Jahrhgundert.

Außerdem gibt es mitten im Zentrum ein Storchenpaar, das offensichtlich vor hat, da oben auf der Platane ein Nest zu bauen. Mama hält den Platz frei, Papa schleppt Baumaterial. Da kann man nur hoffen, dass die Zweige nicht so stark austreiben.

Colmar besticht vor allem durchs Fachwerk. Auch „Klein Venedig“ mir den Kanälen ist wirklich hübsch. Allerdings übertreiben manche Hausbesitzer den Fassadenschmuck gewaltig, sodass die Nähe zum Kitsch unübersehbar wird.

Der Platz rund um die Stiftskirche des Heiligen Martins ist Baustelle. Da haben sie hier einiges vor, was man am aufgestellten Plakat erkennen kann.

Aber aus dem Inneren tönt leiser Chorgesang. Da ich mit Luna eh nicht hinein darf, genieße ich die Musik von außerhalb und umrunde den imposanten Bau.

Überall findet man hier wunderschöne Details, Blickwinkel und architektonische Besonderheiten. Wie ich schon im Reiseführer „Burgund“ gelesen hatte, sind die bunten, glasierten Ziegeldächer für die Gegend typisch. Hier besonders schön am ehemaligen Zollamt – dem Koifhus – zu sehen. Das wunderschöne Gebäude war vor seiner Renovierung am Ende des 19.Jahrhunderts so baufällig, dass man es schon abreißen wollte…

Weiter bummeln wir durch die Stadt. Luna immer mit der Nase am Boden – alles sehr interessant hier! In „La Petite Venise“ finde ich es besonders schön. Die Anzahl der Touristen ist geringer und neben der Markthalle und all den roten herzförmigen Vorhängeschlössern an den Geländern gibt es sogar einige „Gondeln“.

Wir kommen noch an einem traumhaften Karussell vorbei, durchqueren den Stadtpark und genießen die kleinen Details und das hübsche Städtchen.

Gegen 18:00 kommen wir wieder am Parkplatz an. Nebenan gibt es Rummel. Zum Übernachten einfach etwas zu laut und so lege ich noch einmal den Gang ein und steure in Richtung Vogesen. 20km vorbei am Katzental, dem schönen Kayserberg hoch zum Col du Bonhomme (949m), einem Bergpass an der Elsässer Weinstraße. Ringsherum ziehen wieder schwarze Wolken heran und die Vogesen kommen uns dunkel am Horizont entgegen. Überhaupt sieht hier die Landschaft aus, als habe ein Maler zu jeder Farbe etwas Schwarz gemischt.

Oben angekommen wird mir schnell klar: von der versprochenen Aussicht haben wir nicht viel. Ein französischer Camper steht schon da und wir gesellen uns dazu. Die Nacht wird kalt, aber zum Glück habe ich meine dicke Decke dabei. Als wir am Morgen aus dem Bett kriechen, sind die Regentropfen auf der Scheibe gefroren. Genauso wie der Reif in der Tanne.

Ich öffne die Tür und will mir bloß noch die Schuhe anziehen – Mütze darf auch nicht fehlen – da ist meine Hündin verschwunden. Ich tappe durch den Nebel und nach einer halben Stunde (vielleicht auch weniger) setzt Panik ein… ich tappe durch den Nebel, pfeife und rufe (recht leise, damit der Nachbarcamper nicht aufwacht) und Luna lässt sich nicht blicken. In Gedanken sehe ich sie schon zerschellt am Fuße des Hügels… da erscheint sie langsam aus dem Nebel… wieder mal mit einer Portion Rehkacke am Hals. “ Na, hats Spaß gemacht, sich in dem Haufen zu wälzen…???“

Da die Aussicht hier oben ja nun defacto gleich Null ist, verlege ich unseren Frühstücksplatz nach unten in Tal, gleich neben den Bäcker…. hmmm… frisches Baguett und ein bisschen Aussicht auf Kaysersberg. Neben uns ein alter Mann im Womo auch mit Hund. Außerdem gibt es hier 5G – ich kann also in Ruhe schreiben und jetzt, gegen 11:00 Uhr kommt sogar die Sonne ein bissl raus. Nun wird es aber Zeit, die Pferde zu satteln. Auf gehts.

8 Gedanken zu „Mit Stirnlampe und Nagelfeile“

  1. Und wir sind das Ziel:👵🏼🐕👍👍, mit Sonne und vollem Frühling könnten wir heute schon dienen, fanden meine Engländer auch, die gerade von Porthmouth nach St.Malo geschippert sind und hier bei Tee und Kaffee ein 3-stündiges Plauderstündchen machen
    Nun weiter gute Fahrt und Luna vielleicht anleinen🫶🤣👵🏼🐕

  2. Liebe Marion!
    Beim Anblick von Colmar steigen Jugenderinnerungen in mir auf….
    Mit 16 Jahren, also gefühlt gestern 🫣), sind wir (Klasse 10: 22 Mädchen und 4 Jungen 🤣) mit unserem flotten Sportlehrer und unseren Fahrrädern mit dem Zug von Ratzeburg nach Straßburg gefahren. Dort startete unsere 10tägige Klassenreise auf dem Rad. 1. Etappe: Straßburg – Colmar! …. Nach 41 Jahren (😮🫢) sieht alles noch wunderschön aus, es fehlen nur die Geranien, aber dazu ist es noch zu früh.
    Herzlichen Glückwunsch zu Lunas Rehkacki-Parfum. Hoffentlich roch es nicht so entsetzlich wie Fuchskacki. So ein 🐖-chen, bäh! Fahrt schön vorsichtig, toitoitoi für das Halten der Tür und bis zum Wiedersehen in ein paar Tagen in der Bretagne! Liebe Grüße, Ruth und 🐶

Schreibe einen Kommentar zu Netti Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert