Etiketten-Milliardär

Nachdem auf Duncansby Head ”Strictly” verboten ist zu übernachten, weil alles als absolutes Vogelschutzgebiet deklariert ist, nutze ich noch das 4G im heftigsten Regen um den abendlichen Einrag abzuschicken und mache mich dann gegen 19:00 auf die Suche nach einer Übernachtung. Sonst halte ich mich meist nicht an die ”No overnightparking”-Schilder. da kümmert sich hier eh keiner drum. Aber die Vögel wollen wir natürlich nicht stören.

Ich lande in der Freswick Bay und sehe am andren Ende der Bucht nur ein altes großes Gebäude, sieht aus wie ein Castle, nur ohne Türme.

Morgens der Blick aus dem Fenster:

Nicht sehr vielversprechend, aber wir stiefeln munter drauf los und werden zum Tagesbeginn erst einmal durchgeweicht. Umso freundlicher gesinnt ist mein Fotomodel, das Freswick Castle, was genau genommen ein mittelalterliches Towerhaus ist. Freswick heißt übrigens altnordisch so viel wie Frischwasser.

Ich weiß da beim Fotografieren manchmal wirklich nicht, wann Schluss ist und hab gerade in dieser nieseligen Stimmung ganz viel Spaß dran, den Ort in Szene zu setzen, auch wenn meine Wanderschuhe jetzt so langsam den Geist aufgeben und das Wasser nur noch durchlassen. PRIVAT steht am zerfallenen Eingang, aber gegen 7:00 am Sonntag ist hier noch keiner da… Obwohl, gestern Nacht hier Licht brannte.

Beim Frühstück mit Heizung ein Blick aus dem Fenster… auch noch nicht sehr vielversprechend:

Aber dann klart es auf und alles schaut gleich etwas anders aus.

Besonders hübsch finde ich “meinen Womo-Vorgarten” – ein Steingarten auf umgefallenen Wellenbrechern… oder was das hier für herumliegende Betonklumpen sein sollen. Besser bekommt das ein Gärtener auch nicht hin.

Nun gehts auf die Straße in Richtung Wick. Dort möchte ich mir zwei Sachen anschauen. Zuerst das ”Nucleus”. In diesem 20 Millionen britische Pfund teuren und 2018 mit dem Architekturpreis für das beste neue Gebäude Schottlands ausgezeichnetem Gebäude (den gleichen Preis hatte auch Lotte Glob für ihr Wohnhaus bekommen) ist heute das Nukleararchiv sowie das Archiv der Grafschaft Caithness untergebracht. Alles zu hier, aber anschauen kann man es sich – von außen.

Ein weiteres, wesentlich älteres Gebäude ist das Castle Sinclair in der Sinclair Bucht spektakulär auf einem Cliff gelegen. Forscher sind sich nicht so ganz einig, ob es sich hierbei sogar um zwei Burganlagen gehandelt habe, aber die Bilder zeigen, wie es hier einmal zugegangen sein könnte.

Und heute sieht das alles so aus:

Ein kleiner Fußweg führt vom Parkplatz am Ende der langen Sackgasse zu den beeindruckenden Resten der Anlage und wer mag kann am Eingang etwas spenden bzw. die Parkuhr füttern… Ach wäre es doch noch so, wie sich die Archeologen das so schön vorstellen. Vor allem der Ausblick muss super sein, wenn man hier das Dinner oder den Nachmittagstee in der Great Chamber oder der Guest Hall zu sich genommen hat.

Die Straße führt weiter gen Süden immer am Moray Firth entlang, Auf der Gegenseite sind die Umsrisse der Landmasse von Moray und Aberdeenshire zu erkennen. Das Wetter klart auf und es fährt sich hervorragend – immerhin hat die Straße hier durchgehend 2 Spuren und einen ziemlich guten Belag. Auch die Straßenränder überraschen kaum noch mit unvorhersehbaren Abbruchkanten. Nach dem dunkelgrauen und recht unfreundlich wirkenden Wick ist die Fahrt über die sonnenbeschienen Felder eine Wohltat und auch die Blicke hinüber zur Küste sind bezaubernd. z.B. hier an diesem leider geschlossenen Clan Museum.

Hinten auf dem Wasser sind riesige Off-Shore-Windanlagen und wie ich meine Ölplattformen zu erkennen und verbreiten ihre ganz eigene Ästhetik

Eine kurze Pause machen wir am Crofters Museum. Als Crofter werden hier kleinbäuerliche Pächter bezeichnet, die aber auf einen Nebenerwerb angewiesen sind, von der Landwirtschaft also schlecht leben konnten. Wie sie gelebt haben, kann man hier recht anschaulich sehen. Anfangs vermute ich, dass ich allein durch die kleinen Häuschen streife und krieg einen echten Schreck, als sich die Puppe in der Ecke plötzlich bewegt. Ein junges Mädchen scheint hier auch einem Nebenerwerb nachzugehen und passt auf, das niemand etwas für den nächsten Trödelmarkt mitnimmt.

Wisst ihr, wer die selbstklebenden Preisettiketten erfunden hat? Richard Stanton Avery, ein Amerikaner aus Pasadena, Kalifornien. Und was hat der mit Schottland zu tun? Na der dachte sich 1976: ”Was stell ich nur mit meiner vielen Kohle an?” und kaufte sich mal schnell ein Castle. Und zwar das in Dunbeath. Wenn einer Geld hat, dann kann er so ein Gebäude auch renovieren. Nachteil : man kommt nicht näher ran. Aber in dem Fall wetteifern Castle und Himmel heute um den Schönheitsaward.

Übrigens ist Mr. Avery 1997 gestorben und hat es vorher noch an Stuart Murray-Threipland verkauft, den kennt noch nicht mal das Internet, da steht nur ”Landowner”… wahrscheinlich im Hauptberuf Landbesitzer.

Morgen möchte ich mir dann aber dann doch ein Castle von innen anschauen und da gibt es wohl ne Menge zu entdecken: das Dornoch Castle. Dafür ist es heute allerdings etwas spät und deshalb machen wir mithilfe meiner wunderbaren TopoGPS-App an einem Picknickplatz in Brora Rast, den ich sonst hier versteckt im Ort und direkt am Wasser nicht gefunden hätte. Gestern habe ich mir aus der Kühltheke einen Sonntagssteak mitgenommen: Dry aged Angusbeef… na wenn das nix ist. Gewürzt mit dem milden Tasmanischen Pfeffer einer lieben Freundin, der mich schon die ganze Reise begleitet und dazu Gemüsereis … einfach perfekt. Bei dem sonst nicht ganz so delikaten Speisen in der WomoKüche ist das heute ein echter Hochgenuss. Während mein Fleisch noch ein bisschen ruht, bin ich Zaungast eines Spektakels, fast wie in einer Comedy. Eine etwas ältere, recht aufgetakelte Frau mit Pudel kommt von der Gassirunde und spricht die ganze Zeit mit dem Tier. Sie überquert redlich zeternd den Rasen und das Tier springt um sie herum, dann hinein in den ziemlich klapprigen Renault. Die Frau redet weiter, grüßt mich, weil sie sieht, dass ich auch einen Hund habe, der Pudel bellt, sie fährt zurück, fährt noch ein Stück weiter und ich denke schon gleich knallts. Bevor ich die Hände hochreißen kann, rumst sie gegen den Wagen hinter ihr. Der Besitzer kommt gleich über den Gartenzaun gesprungen – er wohnt hier – und als sie etwas vorfährt, denkt er, sie will verschwinden und ruft ihr hinterher. Dann stehen sie ungefähr eine halbe Stunde friedlich beieinander, schwatzen, nicken und verabschieden sich freundlich, als wäre nichts geschehen. ”Í

“I am so sorry!”, ruft sie noch aus dem Autofenster und wäre beinahe gegen das nächste Auto gerumst… dann verschwindet sie um die Straßenecke.

Ich glaube mein Angus-Steak ist fertig: Ich lass es mir jetzt erst mal schmecken und sende liebe Grüße in die Heimat.

2 Gedanken zu „Etiketten-Milliardär“

  1. Nun habe ich dich gehört, wie schön!
    Hatte dir heute morgen schon geschrieben, ist aber nicht gesandt worden. Ich versuche es nochmal:
    Schreib ein Buch, liebe Marion, alles ist so spannend, bin abenbs ganz traurig, wenn ich nichts von dir höre. Und sogar Besuch aus dem Königshaus!
    Mit deiner schönen Stimme, Schottenrock etc. wärst für den Frauenmilitärchor dort sicher eine Bereicherung gewesen. Pass gut auf dich und Luna auf!
    Ich hoffe, du hast dein Agnussteak genossen, sah lecker aus.
    Schick mal Regen in die Bretagne, wir können ihn hier gebrauchen!
    Bises👵🏼🐕🐟🐟🤪🤣

  2. Danke meine liebe Marietheres, das ist ganz lieb von dir. Ich habe bisher so viel unschätzbares Glück auf dieser Reise gehabt, selbst wenn das Wetter mal schlecht war, hat das meist nicht lange gedauert. Alles lief bisher super, drück die Daumen, dass es so bleibt. Ich hab mich augenscheinlich in die kälteste Ecke Europas zurückgezogen 😂🙋🏻‍♀️🐶

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