Lauer Abend bei William

Es geht bergan. Das Womo habe ich auf dem Wanderparkplatz abgestellt und wir erklimmen am Morgen die Malvern Hills. Wie ein hingestreckter, schlafender Riese liegen die beiden Hügel in der sonst recht flachen Landschaft der Severnebene, im Volksmund „Land of Hope and Glory“ genannt und wir haben uns die Runde über den Worchestershire-Beacon vorgenommen. Ein freundlicher Mann mäht gerade den Weg frei und ich bedanke mich bei ihm dafür. In diesem Jahr hätte er wegen des vielen Regens doppelt so viel zu tun, meint er und wünscht uns einen schönen Weg.

Ganz klar ist die Aussicht oben zwar nicht, aber trotzdem wunderbar. Wir schauen zurück und auch nach unten, wo in der Ferne unser Stellplatz der letzten Nacht schon von einem neuen Womo besetzt ist.

Noch mehr Wanderer sind unterwegs und ich treffe ein Pärchen, das gerade eine Bank fotografiert. Hier, so glauben sie, hätte ihre Tochter den Antrag des Freundes bekommen und in drei Monaten heiraten sie. Es stellt sich raus, die Tochter ist gerade mal 2 Wochen jünger als meine.

Auch Schulklassen sind unterwegs und als mir eine Riesengruppe von mehr als 100 Jugendlichen entgegenkommt, bei der das Lehrpersonal nur über WalkiTalki Kontakt aufnehmen kann, bin ich froh, da nicht dazu zu gehören.

Auf dem Gipfel repariert gerade eine junge Bäuerin den Weidezaun und ihr Border Collie sitzt brav im Squad daneben und wartet. Da ist Luna nicht so geduldig und würde am liebsten wieder auf Schafsjagd gehen. So einen Arbeitsplatz zu haben, sei doch toll, frage ich. Heute ja, meint sie, aber in den letzten Wochen … bei dem Regen… das war eher ungemütlich.

Hier saß bis 1936 „Blind Georg“ der Harmoniumspieler

Beim Abstieg zum Städtchen Great Malvern kommen wir an Annas Well vorüber. Leckeres Quellwasser sprudelte aus dem Brunnen und ich fülle mir gleich eine große Flasche ab. Früher gab es hier sogar eine Esel-Beförderung, die aber aus Gründen des Eselsmists (!) eingestellt wurde. Das Eselgeschäft brummte nämlich dermaßen, dass der Gestank nicht mehr erträglich war. An der Quelle betrieb auch mal jemand ein Cafe, was aber „aus Sicherheitsgründen“ geschlossen ist. Ein paar Meter weiter ist es mit der Sicherheit auch nicht so gut bestellt. Da ist der Hang abgerutscht und das kleine Häuschen hat gerade noch mal Glück gehabt.

erstmal Gras drüber wachsen lassen…

Das Städtchen Great Malver ist hübsch, vor allem die Kathedrale hat es mir wieder mal angetan. Und dann entdecke ich Buntglasfenster die mir bekannt vorkommen.

Tatsächlich stammen sie wieder von dem Künstler, den ich euch schon in der Gloucester Kathedrale vorgestellt hatte – was für ein Zufall. Es gibt auch eine besondere Fliesenwand, man sieht hier nämlich die größte und besterhaltene Sammlung alter Kirchenfliesen in England von 1453.

Nun bummeln wir noch ein bisschen durch die Stadt. Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht und bei diesem tollen Wetter im Freisitz, ehe es wieder am Berg zurück geht. Da freuen sich zwei Frauen meines Alters wieder mal über Luna und an ihrem Tisch ist noch ein Platz frei. Ich setze mich dazu und es entspinnt sich ein wunderbares Schnatterstündchen. Eine der beiden ist Lehrerin, da gibt es viel auszutauschen und ich genieße den herrlichen Moment hier in Great Malvern.

Auf dem Rückweg treffen wir noch einmal unseren freundlichen Grasmann, der entspannt im Schatten seine Brotzeit verspeist und uns den Weg zur Hundebadestelle zeigt. Luna erfrischt sich ausgiebig und so können wir starten nach … Würzsoße … na kennt ihr die? Immer wieder denke ich dabei an „Ragufäng mit „Worschestersoße“ … ihr nicht auch, ja so hieß das in der DDR, also zumindest in unserer Familie und ich mag das eigentlich. Naja, als gebildete Gesamtdeutsche fahre ich nun also nach Worcester (sprich Wuuster). Auch dort wartet wieder eine fantastische Kathedrale auf mich. Luna hat sich ein Pause im Schatten-Womo verdient und ich laufe am Severn entlang zur nächsten Schönheit. Da lass ich mal nur die Bilder sprechen:

Mein Favorit ist zwar immer noch Glocester, aber auch hier nimmt mich diese aufragende, majestätische Schönheit sofort gefangen. Da im Hauptkirchenraum keine Bänke eingebaut sind, wirkt die Größe nochmal überwältigender. Wenige Menschen sind gerade zu Besuch und ich liebe es, mir die Räume fotografisch anzueignen. Auf der Suche nach Strukturen und Perspektiven entdecke, erfasse, verstehe ich sozusagen das Gebäude. Hier z.B. sind an der Decke in der Mitte kleine Engel in einer Linie angebracht, die früher mal Wappen oder Ähnliches in den Händen hielten.

Als ich gerade zum Ausgang gehe: Jugendliche, diesmal spanische, viele und laute… und schon ist die ganze Atmosphäre dahin. Naja, ich hatte ja meinen Moment. Zurück bummle ich durch die kleinen Altstadtgassen der Stadt und komme sogar noch am NT Greyfriars House vorbei, einem wunderschönen mittelalterlichen Kaufmannshaus , was aber leider gerade schließt. Ein kleiner Blick für mich ist aber noch drin und die letzten Gäste sitzen auch noch im Cafe des Hauses.

Nun noch schnell Einkaufen und auf zum empfohlenen Stellplatz mitten in Stratford upon Avon – der Shakespeare-Geburtsstadt. 28.000 Einwohner (zu Williams Zeiten waren es 1500) müssen sich jährlich mit 4 Millionen Touristen rumschlagen – ja und ich bin eine davon. Aber trotzdem empfängt uns das neu gestaltete Viertel hinter dem Royal Shakespeare Theatre und dem kleinen Hafen am Avon absolut freundlich. Hier ist Gemütlichkeit angesagt. Musiker spielen, Menschengetümmel bei schönstem Wetter, sogar ein Riesenrad ist aufgebaut und gleich beginnt im Theater eine Vorstellung.

Ich genieße den lauen Abend mit Luna und unserem Abendbrot auf der Wiese vor dem Theater, lausche der Musik und beobachte die Leute. Wunderbar! Dann ziehen wir uns auf den Stellplatz gleich hinterm Bootshaus zurück und schauen den Kindern beim Cricket zu. Luna ist heute durch und auch ich habe ne Menge erlebt. Dankbar und glücklich über den schönen Tag sitz ich nun unterm stillen Abendhimmel und schreibe alles auf, damit ich auch nichts vergesse 😉

Kommt gut durch die Nacht.

2 Gedanken zu „Lauer Abend bei William“

  1. Ich bin wirklich beeindruckt, wie du immer wieder mit den Menschen in Kontakt kommst. Meine Englisch- Kenntnisse könnten da nicht mithalten… Die Kathedrale ist wirklich beeindruckend! Schön, dass du sie für dich entdeckt hast. Ganz liebe Grüße von Netti

    1. Ja meine beste Netti, die Kathedralen sind wirklich beeindruckend-heute wartet die letzte auf mich: Canterbury 😊 Und ich bin selbst erstaunt, wie das mit dem Englisch klappt. Aber bisher waren aller sehr freundlich und nachsichtig mit mir und haben zumindest so getan als würden sie mich verstehen 😂

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