Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Eigentlich ist der größte Teil von Florenz wirklich keine Schönheit. Dicht an dicht drängen sich die Wohnhäuser und Palazzi, Sonnenlicht trifft kaum  auf den Boden und gerade morgens liegen überall Müllsäcke (wahrscheinlich zum Abholen) bereit. Alles ist schon ziemlich ramponiert und gerade mit Regenwetter und Tourimassen wirds nicht so richtig gemütlich. Der Morgen allerdings gehört fast uns allein, denn wie gewohnt schwingen wir uns 6:00 aus dem Bett und bummeln durch die menschenleeren Straßen – herrlich. Wenn jetzt noch die Sonne scheinen würde, wäre es ja kaum auszuhalten, doch das ist uns nicht vergönnt – es regnet wieder.

Der Palazzo Vecchio, der Dom… alles ist noch vollkommen unverstellt und tourifrei. Luna genießt es, nicht ständig von links nach rechts gezerrt zu werden. Ihr Morgengeschäft verrichtet sie ungeniert aufgrund mangelnden Grüns in den bodentiefen Fensterbrettern eines sauteuren Designer-Taschen-Ladens – genau mein Humor! Keine Angst, ich räume brav alles weg!

Gegen 08:00 Uhr gibts Frühstück in einem kleinen Cafe und auch dort sind wir noch die einzigen Gäste. Die freundliche Bedienung bringt Luna Wasser und ich frage sie, zu welcher Zeit man kommen muss, wenn man Florenz ein bisschen ruhiger erleben möchte. „Das ist immer so, noch schlimmer ist der Sommer!“, meint sie.

Der Regen nimmt zu und ich beschließe, meine Parkzeit nicht auszureizen, denn gegen neun sind schon die ersten Reisegruppen unterwegs, die sind mein Härtetest, sie weichen keinen Zentimeter und walzen Hund und Frauchen platt, wenn du nicht zur Seite springst. Der Regen nimmt zu und Luna zieht wieder das Köpfchen ein, ihr wirds zu viel. Also hole ich unser Gepäck aus dem Hostel und melde mich im Parkhaus. „Jaaa…, ihr Caddy, der ist nicht da.“ „Wie, nicht da?“ Auf die erste Verwunderung folgt die Erklärung: Die Garage hier ist viel zu klein für all die Autos und so werden sie ausgelagert – wohin auch immer. Kurz vor Ende der Parkzeit holt man sie wieder und weil ich so zeitig bin, ist der Caddy noch im Nachtquartier. Eine halbe Stunde solls dauern, ich darf mein Gepäck einstellen und schlender noch ne Runde.

Die Marktschreier bauen gerade ihre Stände auf und „Porcellino“, das Wildschwein am Merkato Nuovo, hält die polierte Nase in den Regen. Ein anderes Kunstwerk am Wegesrand fällt mir auf. Im Eingang eines Plazzo liegt ein Penner auf der Bank.

Doch halt, der ist ja aus Bronze und seine nackten Füße schauen aus der Decke hervor. Sie haben Kreuzigungsmale. Ein Gesicht ist unter der Decke nicht zu erkennen. Timothy T.Schmatz aus den USA hat die Skulptur mit dem Titel „I was naked and you clothed me“ nach Matthäus 25:36  im Jahr 2019 geschaffen. Lebensgroß und im Halbdunkel des Eingangs im ersten Moment echt wirkend, ist es eine bewegende Skulptur, die etwas mit dem macht, der sie entdeckt.

Wir kommen noch an dem wahrscheinlich kleinsten Geigenbau-Laden der Welt vorbei und auch Luna hat ihr Lieblingsgeschäft gefunden. Der finster blickende Löwe vor der Chiesa Santa Croce erinnert uns daran, dass wir den Rückzug antreten müssen. 

Der Caddy ist startbereit, wir haben bis 16:00 Uhr Zeit, es regnet in Strömen und ein frischer Wind weht mir um die Nase. Ich stelle am Handy ein: keine Mautstraßen, keine Autobahn und dann gondeln wir ganz in Ruhe gen Süden durchs lieblich verregnete Chianti-Land.

Wir bleiben immer auf der Wein- und Olivenölstraße „Strada del Chianti“. Links und rechts – wie der Name schon sagt – Weinberge, Olivenhaine, ab und zu kleine mittelalterliche Dörfchen im hügeligen Land zwischen Florenz und Siena. Orte wie Greve, Castellina, Gaiole, Panzano laden zum Bummeln und Verkosten ein. Doch wenn Letzteres den Führerschein kosten würde, vergeht mir Ersteres beim Aussteigen. Kalt-nasse Böen schlagen ins Gesicht. Da lass ich das dann lieber doch und begnüge mich mit ein paar Fotostopps.

Doch am Castello die Brolio machen wir halt. Nur drei Autos parken am Eingang und so bekomme ich schnell ein Ticket, leider nur für außen, denn das Schloss ist bewohnt. In den 1990ern übernahm der Werbefotograf Barone Francesco Ricasoli das ziemlich marode Landgut seiner Familie mit den unfassbar großen Weinbergen ringsherum – das nimmt kein Ende… und hatte damit so riesigen Erfolg, dass sein Anwesen bald zum Weingut des Jahres gekürt wurde. Wir streifen durch die nasskalten Gärten, bestaunen die Aussicht und Luna flitzt mit Begeisterung auf der Burgmauer hin und her.

Nach Absprache kann man hier Führungen, Weinbergausflüge, -verkostungen und Picknicks. Unterhalb der Burg gibt es einen Verkaufsraum und im Osteria del Castello wird leckeres Essen serviert.

Das alles nutzen wir heute nicht, aber die Gelegenheit, einen regenfreien Spaziergang zu machen lassen wir uns nicht entgehen. Ein einzige Gebäude steht für die Besucher offen – die kleine Familienkapelle mit einer wunderbaren Deckenbemalung.

Danach gondeln wir kilometerweit durch Baron Ricasolis Wein- und Olivenberge. Längst nicht alle Straßen hier sind asphaltiert und der beige-braune Matsch hat meinen Caddy mit länglichen Tupfen überzogen. Davon lassen wir uns nicht abhalten, auch Drängler, die es eiliger haben, können uns nicht davon abhalten die Landschaft zu genießen.

Immer wieder treffen wir dabei auf das Hinweisschild „Eroica“. Ein kleines Fahrrad ist darunter gezeichnet und hier haben wir es mit einer Oldtimerstrecke für Fahrräder zu tun. Am ersten Sonntag im Oktober findet auf den Straßen (z.T. sind es eigentlich Schotterpisten) eine Ralley auf Oldtimerrädern statt. Vom klapprigen Drahtesel bis zum kostbaren Einzelstück soll da alles dabei sein, das älteste Rad war aus dem Jahr 1885. Die Teilnehmer kommen aus aller Welt, man kann hier aber auch mit dem Auto entlagfahren – so wie wir.

Gegen 16:00 erreichen wir unser neues Quartier in Lornano. Am Ende des kleinen Dorfes geht ein Sträßchen in die Weinberge und dort das letzte Haus vor dem Wein, da wohnen wir über Ostern die nächsten 4 Tage. Ein kleines Appartement mit Terrasse, völlig ruhig und abgelegen. Im anderen Hausteil wohnt noch der Onkel der Vermieterin, aber wir sind herrlich für uns und Luna kann in den Garten – sie strahlt, im wahrsten Sinne. Florenz war nix, aber das hier ist das Paradies für meine Hundedame. Sie rennt und springt, zieht die Maulwinkel hoch und bringt ein Stöckchen nach dem anderen – ich bleibe standhaft!

Ich habe mir eine Flasche Wein gekauft: Vermentino aus der Toscana – aber sowas von lecker! Ich kenn mich zwar überhaupt nicht aus, was Wein betrifft, aber den mag ich. Sonnenschein, Terasse, Wein schlürfen – grandios! Nebenbei noch ein bisschen was über die alten Meister lesen. Und tatsächlich gibt es da Einiges zu entdecken. Hier z.B., was für eine Story: Ihr erinnert euch, eins meiner Lieblingsbilder…

Filippo Lippi, Madonna mit dem Kind und zwei Engeln (1465)

Der Maler war Metzgerssohn und schon früh Vollwaise, weshalb er in ein Kloster gebracht wurde. Dort lernte er malen und die Dame dort auf dem Bild kennen. Das ist vermutlich Lucretia Buti, Nonne und Geliebte des Malermönchs. Sie schenkte ihm zwei Kinder (ein Mädchen, einen Jungen) und der Sohn ist später auch Maler geworden (Filippino Lippi). Botticelli wiederum, der auch solche wunderbare Zartheit in seinen Bildern hat, war sein Schüler des älteren Lippi und im Gegensatz zu seiner Zartheit sah Lippi selbst doch eher feist aus, meint ihr nicht?  Sowas ist doch mal spannend – oder? 

Nun ja, die Ticket für Rom sind nun auch gebucht, leider etwas verspätet, dafür aber umso teurer 😖. Galleria Borghese am 3.4. um 9:00 Uhr und Galeria Dori Pamphij am 2.4. um 12:00 Uhr. Ich freu mich schon sehr.

Die nächsten vier Tage gibt es aber nur Landschaft und ein bisschen Sienna. Einen Vorgeschmack bietet die heutige abendliche Gassirunde gleich hinter dem Haus. Alte Fotografen-Weisheit: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort und dann Handy draufhalten.

unser Häuschen

Drückt die Daumen für gutes Wetter, denn hier gibts keine Indoor-Museen. Alles was hier toll aussieht, ist draußen. Kommt gut durch die Nacht.

1 Gedanke zu „Zur richtigen Zeit am richtigen Ort“

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