Avalon

1601 schuf sich Sir Edward Phelps mit seinem Landsitz im Örtchen Montacute eines der prächtigsten Gebäude im ganzen Königreich. Gelben, fast golden glänzenden Stein wählte er aus und viele Fenster bekam die erhabene Fassade.

Das Prachtstück allerdings befindet sich im ersten Obergeschoss.

Heute schmucklos, nicht sehr repräsentativ, aber mit einer Länge von 53,5m die längste (Porträt)Galerie im Land. Vorn und hinten bekamen die Fenster noch einen kleinen Erker und das verschaffte dem Speaker im House of Commons den nötigen Längen-Vorsprung zum Konkurrenten aus der Nachbar-Graftschaft. „Mens problems!“, meint die freundliche Museumsdame und grinst verschmitzt.

Mitte: Elisabeth I und ihre gehasste Halbschwester Mary rechts

Neben der Ausstellung wichtiger Porträts (die heute wegen des schädlichen Lichts in anderen Räumen hängen) diente dieser Saal der Ausrichtung von Bällen, den Kindern zum Indoor-Spielplatz und den Herren für täglichen sportliche Übungen mit Degen und Schwert. Die Besonderheit heute ist, dass die über 60 Bildnisse der Adligen des 16./17.Jhd. in anderen, abgedunkelten Räumen hängen. Sie sind zum großen Teil Dauerleihgaben der National Portrait Gallery in London und darauf sind die Museumsführer auch sehr stolz.

Witzig ist die kleine Sammlung eines Arztes aus dem 19.Jhd. Nach einem Zufallskauf in einem Antiquitätenladen verliebte er sich in alte Stickereien. So entstand eine Sammelleidenschaft und die mittlerweile wertvolle Sammlung gehört nun dem National Trust. Hier sind vor allem sogenannte Sampler – also Mustersammlungen ausgestellt, die zwischen 1650 und 1750 entstanden.

An der Innenausstattung faszinieren mich am meisten

  1. die fantastischen Holzarbeiten an der Tür zur Bibliothek
  2. die Badewanne im Schrank
  3. die alptraumauslösenden Schnitzereien am Bett
  4. die wunderschönen Glasfenster mit den unzähligen Wappen.

Die besondere Atmosphäre des Hauses diente auch schon als Filmkulisse z.B. bei der Miniserie „Wölfe“ (Wolf Hall) in der es um Heinrich VIII und Oliver Cromwell geht.

Luna wartet im Auto, während ich die letzte halbe Stunde bis 16:00 noch nutze, um mir die Räumlichkeiten anzuschauen. Dann drehen wir eine Gartenrunde, denn der hat wenigstens bis 17:00 geöffnet. Besonders witzig finde ich die Buckel-Hecke. Ansonsten sind alle anderen Gärten prachtvoller gewesen, der hier ist eher schlicht.

Zum ersten mal probiere ich eine Pup-Übernachtung im „Mason Arms“ gleich 2km im Nachbardorf aus. Und das klappt hervorragend. Hinterm gemütlichen Pup gibt es eine Wiese für Camper und da checken wir für ehrliche 15 Pfund ein. Das ist gerechtfertigt, denn hier ist alles dabei und sehr liebevoll hergerichtet.

Auch die Häuschen im Dorf sind zum Teil mit dem gelben Stein erbaut, aber viel winziger und enger. Wenn der Pup-Besitzer seine Mülltonnen auf die Straße stellt, kommt entweder keiner mehr durch, oder er muss sie direkt vor die Fensterscheiben schieben.

Wir passen zum Glück noch durch und schaukeln am frühen Morgen die 15 Meilen nach Glastonbury – äh nein Verzeihung: Avalon. Genau! Das ist die sagenumwobene Insel Avalon, wo Artus beerdigt und der Heilige Gral – also ein Kelch mit Jesu Blut oder so… – am Chalice Hill vergraben wurde. Dort befindet sich heute die Chalice Hill Quelle aus der blutrotes Wasser sprudelt… hm, um genau zu sein braunes, wegen des Eisens im Boden… aber seis drum…

Tatsächlich war Glastonbury mal eine Insel. Noch heute sieht man, das die Umgebung von feinen Wasseradern durchzogen ist. Früher umspülte der Bristol Chanel den Ort. Und so pilgern auch heute Scharen von Esoterikern, Erleuchteten oder einfach moderne (Grals)Sucher in die Stadt und machen einen Tag wie diesen zum Erlebnis für mich Normalo. Hier komme ich mir vor wie auf einer Kostümparty, nur ich hab mein Kostüm vergessen.

Hippie-Look ist angesagt und an jeder Ecke sieht man … ja wen eigentlich: Rainbow Hippie, Celtic Hippie, Cider Punk, New Age Eso, Erleuchtete, Yogis, Hausfrauen auf dem Selbstfindungstripp… Es macht einfach Spaß durch dieses bunte Treiben zu schlendern und natürlich hat sich die lokale Ladenszene entsprechend eingestellt. An esoterischen Läden mangelt es ebensowenig wie an Yoga-, Tantra-, Meditations-, Hypnose-, Heiler-, Schamanenkursen. Das Angebot ist vielfältig, aber beim Kräuterladen bin ich dann doch dabei. Der Wahnsinn: alles was sich ein Kräuterhexchen wünschen kann, findet man hier: von Büchern über Kräuter, Ätherischen Ölen, Räuchermischungen bis zu Zubehör und Duftkerzen. 

Zuerst allerdings wandeln wir auf alter heiliger Erde und schauen uns die Ruinen der Glastonbury Abbey an. Im 7.Jhd. entstand hier die erste Abtei und als diese im 12.Jhd. durch einen Brand völlig zerstört wurde, fanden Mönche (oder wollen wir sie Marketing-Spezialisten nennen?) zwei Gräber: erstens das von König Artus und seiner Frau, da lag extra ein Schild dabei, dass sie das sind…

…und dann noch das von Joseph von Arimathäa (das war der, der den heiligen Gral mitgebracht hat). Und zack, war der Ort Ziel zahlreicher Pilger, die brachten das nötige Kleingeld für den Wiederaufbau und es entstand eine neue Klosterkirche, die mit 177m Länge (wieder einmal) die längste des Landes war. Drumherum baute man noch so einige andere Gebäude und so ungefähr muss das dann ausgesehen haben.

Heute sieht es so aus und wer ist wieder mal Schuld? Richtig! Der böse Heinrich. Also der achte Heinrich. Auch diese Abtei ließ er 1539 zerstören und verleibte die Schätze der Krone ein. Bis 1908 diente das Gelände der umliegenden Bevölkerung als Steinbruch, bis es dann endlich unter den Schutz der Kirche gestellt wurde. 

Selbst diese spärlichen Reste nehmen einen noch ganz gefangen und sehen im frühen Licht wunderschön aus. Manche spüren hier auch ganz besondere Energien, umarmen Bäume oder singen leise Lieder. 

Am besten erhalten ist die Großküche der Abtei. Die hohe Laterne auf dem Dach ist ein ausgeklügeltes Lüftungssystem, da wusste der Abt bestimmt schon vorher, was es zum Mittag gab. Ein kleiner Kräutergarten und große Streuobstwiesen schließen sich an. Und auch sonst findet man viele wunderbare, alte Bäume auf dem Gelände.

Einer ist ganz besonders. Der Heilige Dornbusch von Glastonbury. Hierbei soll es sich um einen Sprößling jenes Weißdorn handeln, der dem Wanderstab Josephs von Arimathäa entsprossen sein soll, als dieser ihn auf die Erde stieß. Dieser Busch blüht im Jahr ein zweites Mal zu Weihnachtszeit. Nun, ich vermute, der hier blüht überhaupt nicht mehr…

Luna macht Pause im Womo und ich habe noch etwas Besonderes vor: 13:00 Uhr, Thursday Lunchtime Concert in der St.Johns Kirche. Das ist doch mal eine fantastische Auszeit aus dem Eso-Trubel. Der Kantor stellt seine vier Musik-Freundinnen vor. Sie hätten gemeinsam Hausmusik gemacht. Wir könnten jetzt hören, was dabei herausgekommen sein. Und was spielen die fünf Musiker? Ich glaube ihr werdets erkennen.

Nun gehts auf den Berg. Weit hinein ins Land ist er zu sehen, der Glastonbury Tor.

Tor kommt hier aus dem Keltischen und bedeutet so viel wie Hügel. 158 Meter hoch und tropfenförmig ist dieser Ort, an dem schon Spuren der Kelten und Römer gefunden wurden. Im 14.Jahrhundert setzte man auf die Spitze einen Kirchturm. In der keltischen Mythologie glaubt man, dass hier sei der Eingang zu Annwn/Avalon, der Welt der Feen. Noch heute hat der Gipfel für viele eine besondere Bedeutung. Das kann ich am Wegesrand sehr gut beobachten.

Einige Meditieren auf der Spitze, einer liegt bäuchlings im Gras, die Arme ausgebreitet, hinten in der Wiese macht eine junge Frau eine Art Tanz, viele laufen den Hang barfuß hinauf. Aber das Beste ist der Typ mit der Bierflasche. Völlig außer Atem, mit riesigen Kopfhörern auf den Ohren und schweißnass kommt er oben an, setzt sich, schaut auf seine Uhr, ruft: „Yessss!“, trinkt einen Schluck aus seiner Flasche und rennt wieder runter.

Hier hat man einfach den ganzen Tag Unterhaltung. Allerdings hat dieser Ort auch eine traurige Geschichte. Als Heinrich VIII befahl, die Abtei niederzubrennen, weigerte sich der damals amtierende Abt Richard Whiting. Deshalb lies ihn der König hier in diesem Turm grausam hinrichten und was dann mit seinem Körper geschah, erspare ich euch lieber.

Dann sehe ich noch das kleinste Wohnmobil der Welt und weiß nun endlich auch, wo das Back-end ist. 😉

Als wir aus Glastonbury hinausfahren, biege ich einmal links ab, ein kleiner Umweg für einen unverstellten Blick auf den „Eingang zum Feenreich“.

Doch was ich dann entdecke, ist eigentlich noch interessanter. Über vielleicht einen knappen Kilometer verteilt stehen hier am Straßenrand, schon fast zugewachsen vielleicht zwanzig Wohnanhänger, Autos und Caravans. Die sehen alle schon ziemlich alt aus, aber neben manchem steht sogar ein niegelnagelneuer Mercedes, doch zu sehen ist niemand. „Leben im Schatten Avalons“, so würde ich die Szenerie betiteln.

60 wunderbare, entspannte, mit 100km/h rasante Kilometer trennen uns von Wood-Henge. So herrlich bin ich schon seit drei Wochen nicht mehr gefahren. Stone Henge hat schon geschlossen, das machen wir gleich morgen früh, aber ganz in der Nähe gibt es auch noch einen hölzernen Kreis. 

Na ja, die Vorstellung davon. 1925 sah man bei Luftaufnahmen regelmäßige, dunkle Spots auf dem Boden. Die Archäologin Maud Cunnington untersuchte gemeinsam mit ihrem Mann die Stelle und erkannte Ähnlichkeiten mit Stonhenge. Heute sind hier kleine Betonzylinder eingegossen. Damals, 2500 Jahre vor Christus, könnte es so ausgesehen haben.

Nun ist es aber genug für heute. Zum Glück gibt es genau neben dem rituellen Platz eine kleine Parkbucht für 4 Fahrzeuge, in der wir übernachten können. Und dann bekommen wir sogar noch ein bisschen abendliche Farbe über Woodhenge… zwei weitere Übernachtungsgäste (englisch und spanisch) sind hinzugekommen und weiter hinten brennt ein kleines Lagerfeuer bei zwei Zelten. Schön hier. 🙂 Kommt gut durch die Nacht.

5 Gedanken zu „Avalon“

  1. Nun sag mal, meine Liebe, wirst du eigentlich nur am Abend müde? Was siehst du alles, einfach toll deine Fotos! Und du erkundest immer weiter, aber du bleibst, wie du bist, kein Eso🫣! Der Kräuterladen war ja wunderbar, das glaube ich, dass dich das „packte“! Diese Fläschchen, wahnsinnig!
    Bonne nuit, liebe Marion, und ein Knuddel für die tapfere Luna, deine Médrouxer

    1. Da war natürlich „Die Forelle“ zu hören… 😊Sehr schön war wieder dein Tag, liebe Marion! Glastonbury ist ja wirklich der Wahnsinn. Ich fand aber auch die Strecke mit den alten Womos toll. Danke für die wunderbaren Impressionen, die du auf so unterhaltsame Weise mit uns teilst. Ich sehe England inzwischen mit einem ganz anderen Blick…. Kommt gut durch den Tag und fühlt euch lieb gedrückt.

      1. Genau, in der Mittagspause gabs für die deutsche Touristin das Forellenquintett von Schubert – so cool ☺️ Ja mir gehts es ähnlich, eine solche Vielfalt von Eindrücken hätte ich in diesem Winkel Ex-Europas auch nicht erwartet 😃 Liebe Grüße aus Woodhenge vom Frühstückstisch 🙋🏻‍♀️🐶

  2. Keine Sorge, ich habe den Weg zum Tor nicht barfuß und mit Mantragesängen hinter mich gebracht, aber das war echt ein lustiger Tag!! 😅 Jetzt reichts aber und wir haben uns ins Womobett verkrümelt- eine gute Nacht auch für euch und liebste Grüße 🙋🏻‍♀️🐶♥️

  3. Liebe Marion
    ….einfach klasse, deine Bilder und das was du schreibst, man hat das Gefühl life dabei zu sein.
    Ich finde selbst die Atmosphäre kommt rüber, eine eigene Magie liegt über dem was du heute alles erlebt hast.
    Weithin eine spannende Zeit und das Wetter scheint „gnädig“ zu sein.
    Ganz liebe Grüße Sabine 🙋‍♀️☀️

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