Alter Ego

Die Kirchen der St. Nicholas Church läuten leise – es ist 18:00 Uhr und wir kommen in Abbotsbury langsam zur Ruhe. Wobei – Ruhe hatten wir heute den ganzen Tag. Nachdem wir gestern Abend den wunderbaren Sonnenuntergang am Chesil Beach genießen konnten, hatten wir noch dazu eine wunderbare Nacht.

Der Plan heute ist, in Richtung Dartmoore Nationalpark zu fahren, aber sehr weit kommen wir nicht…

Das Frühstück im herrlichen Morgenlicht ist wunderbar,

…bis ein Hundebesitzer seinen freilaufenden Schnuffi an unserem Womo entlangführt. Soweit so gut, nur als Luna diesen fröhlich wedelnd begrüßen will, schreit der Typ mich an, ich solle meinen Hund „under control“ bringen… Hm, welcher Vierbeiner besuchte uns gleich nochmal ohne Leine? Grundsätzlich sind die Briten aber wirklich ein freundliches Völkchen, immer auf einen Small-Talk aus und meist ungemein hundefreundlich. Aber Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. So wende ich mich einfach wieder meiner herrlichen Frühstückslocation zu:

im Schatten der „Dicke“ und ich 😉

Um aus Weymouth rauszukommen braucht man wieder ein bissl Zeit und Nerven, hier ist immer was… und wenn es Eltern sind, die ihre kids zu Schule bringen… zack: Straßen verstopft. Doch wenige Kilometer weiter wirds idyllisch. Abbotsbury ist der Inbegriff von Idylle. Hier stehen auf einen verschlafenen Parkplatz neben einer alten Abtei noch drei Camper und packen gerade zusammen. Ich stelle mich daneben und wir bummeln los durchs Örtchen. Alles da, was man sich als Freisteher wünscht: Toiletten, ein Bäcker und SPAR. Genau in der Reihenfolge. Hier bleib ich.

Kleine reetgedeckte Häuschen säumen die Straßen und ab und zu gibts eine Galerie oder ein Lädchen… oder wie hier eine Ferienwohnung.

Voll niedlich und am besten ist: ich kann nur wenige bis keine Touristen entdecken. Der Reiseführer empfiehlt drei Ziele, die alle sehr leicht zu erwandern sind und so machen wir uns auf die Socken. Über Wiesen gehts zuerst hinauf zur St.Catherine`s Chapel.

Dabei hat man immer das Dorf und das Meer mit seiner immer noch andauernden und insgesamt 29km langen Steindüne im Blick. Auf dem Bild oben ist das als heller, vorgelagerter Streifen vor dem Wasser gut zu erkennen.

Auf einer Anhöhe liegt die hübsche Kapelle, die den Seeleuten schon seit Jahrhunderten einen Orientierungspunkt bietet und auch architektonisch… naja, zumindest nicht gewöhnlich aussieht.

Oben angekommen freue ich mich, dass hier nicht das übliche Schloss an der Tür hängt und man einfach eintreten kann. Das alte Tonnengewölbe bietet eine fantastische Akustik und ich muss gleich mal ein bisschen trällern, um das zu genießen, so ganz für mich allein. Bis auf ein paar rührende Steine, Zettel und Briefe, die jemand in Gedenken an liebe Verstorbenen auf dem alten Mauerwerk platziert hat, ist im Innenraum des Gebäudes nichts mehr vorhanden.

Den Hügel hinten wieder hinunter befindet sich das zweite „Highlight“ eine Schwanerei. Nein, das ist kein Tippfehler, zur Swanery gehts wirklich hier entlang, was das Labyrinth in Form eines Schwans da hinten deutlich anzeigt.

Die Mönche der nahegelegenen Abtei legten in der kleinen Lagune schon 1393 eine Kolonie von mehr als 800 Schwänen an, die in königlichen Kreisen noch bis in die 50er Jahre als Delikatesse galten. Auch die Daunen waren natürlich beliebt. Heute kann man einige Exemplare – die immer noch der Krone gehören – für 12 Pfund begutachten. Aber es gibt natürlich noch mehr zu sehen und zu tun…

Allerdings erfahren wir am Eingang, dass Hunde nicht erlaubt sind. Nun ja, dann wandern wir halt weiter. Aber einen Cream-Tea mit Scone und clotted Cream nehme ich im leeren Cafe noch zur Stärkung. Das darf man sich nicht entgehen lassen.

Es geht den Hügel wieder hinauf und auf der anderen Seite in Richtung Subtropical Garden.

1750 fand der Earl of Ilchester in der kleinen Senke hinter Abbotsbury den richtigen, geschützt liegenden Ort, an dem er mit seinen subtropischen Pflanzen und Samen, die er auf vielen Reisen durch Asien und Amerika gesammelt hatte, einen Garten anzulegen.

Palmen, Kamelien, Magnolien aber auch viele Hortensien gedeihen hier auf mittlerweile 20 Hektar allzu prächtig.

Kleine Gartenhäuschen, eine Gartenschaukel, Brücken und Sitzplätze, Brunnen und Liegewiesen machen den Rundgang lauschig, nur über die Hängebrücke kann ich Luna nicht bewegen, ist ja auch zu verstehen.

Besonders begeistern mich die vielen Hortensien. Neben einer Hydragenapassage gibt es eine Hydragenakaskade. Egal, sie sehen einfach fantsastisch aus.

Im Seerosenteich schwimmen 4 Kois und auch andere kleine Fische, die man mit bereitgestellten Futter verwöhnen kann. Als Luna die Tiere im Wasser entdeckt, ist sie so erschrocken, das auch die Fische entsetzt zurückweichen. Dann schlägt sie die gefährlichen Feinde durch kräftiges Gebell in die Flucht.

Am Ende des Rundgangs wartet dann wie immer die Verführung. Aber ich habe keine Erfahrung mit „Reisen mit Pflanzen“ und lasse sie lieber stehen.

Langsam laufen wir wieder zurück nach Abbotsbury und ich strebe eine kleine Mittagspause an, bevor am Nachmittag noch eine Runde durch die Abtei gleich neben unserem Stellplatz passen könnte. Doch dann kommen wir an einem kleinen Paradies vorbei. Mitten im Dorf hängt vor einem kleinen Häuschen dieses Schild:

Auf hölzernen Bänkchen stehen ein paar zierliche Pflänzchen mit Kasse des Vertrauens bereit. Doch tritt man weiter hinten durch die Einfahrt, dann öffnet sich ein kleines Paradies. Fast meint man in einem besonders erfinderischen Privatgarten gelandet zu sein. Aber diese Kombination aus Garten, Cafe und Gartencenter ist wunderbar. Der Besitzer hat hier ein Refugium geschaffen, in dem man verweilen möchte. „Dogs welcome – human tolerated“ steht am Eingang. Und ein Schild, dass man alles hier kaufen kann, wenn man mag: Pflanzen, Geschirr, Vogeltränken, Türstopper, Brunnen, Statuen, Tische und Stühle usw….

Der Blick über den Gartenzaun wendet sich hinauf zur Kapelle St. Catherine und auch die Haustiere werden vorgestellt. Hinter dem Brunnen links wohnen z.B. die Schildkröten Sandy und Wendy, es gibt auch Kaninchen und Katzen. Letztere sind aber verschwunden. Wahrscheinlich haben sie Luna kommen sehen. Kleine Tische können zum Kaffeepäuschen genutzt werden und durch Minitüren betritt man Hinterräume des Hauses, in denen Trödel angeboten wird. Vorn arbeitet der Hausherr und pflanzt die Setzlinge um. Auch Säcke mit Blumenerde liegen bereit und können erworben werden.

Ich setze mich mit einem Kaffe unter den Bananenwedel, Luna klatscht sich in den Schatten und dann genießen wir. Auch hier sind wir übrigens fast die einzigen Gäste.

Ein altes Buch habe ich mir aus dem Trödel herausgefischt: „England is a Garden“ von Catherine Hamilton. Die begabte Zeichnerin ist dem dem Campervan 1984 vom zeitigen Frühjahr bis in den späten Sommer durch England gereist und hat immer bestimmte Pflanzen mit den Orten verbunden, an denen sie diese entdeckt hat, die dort eine besondere Bedeutung haben oder die Empfindungen der Autorin wiedergeben. Dazu zeichnete sie immer ein Gebäude, das sie an diesem Ort besonders fasziniert hat.

Zu Shakespeares Geburtsort in Startford-upon-Avon zeichnete sie eine Rose mit dem berühmten Zitat aus „Romeo&Julia“

Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.

Und mit einem weitere Zitat beendet sie das Buch.

Our England is a garden, that is full of stately views…

Na den Autor kennen wir doch schon, seinen Garten haben wir erst vor wenigen Tagen durchstreift.

Für 2 Pfund nehme ich das Buch mit, bezahle meinen Kaffee und bedanke mich für die herrliche Zeit im Garten.

Nach einer Pause im Liegestuhl… oder in Lunas Fall darunter, laufen wir den Weg hinab zur Abtei. Heute sind darin zwei Restaurants und mehrere kleine Läden untergebracht. Hier kann man Seifen, Düfte, Bilder und Kleidung kaufen. Alles ganz entspannt mit wenigen Leuten.

Die Frau in diesem blumenbuntfröhlichen Modeladen freut sich über ein Gespräch. So langsam entdecken die Touristen, dass man durch die Graftschaft Dorset nicht nur hindurchfahren kann, um nach Cornwall zu kommen. Bisher sei vor Ort aber alles noch beschaulich und wenn ich nach Dartmoore wolle, müsse ich mir keine Sorgen machen. Da sei es nach wie vor entspannt. Aber Cornwall… ab nächste Woche… huuuh… das wird voll. Sie ist schon die Zweite mit dieser Drohung. Und auch dass die Straßen dort sehr eng sein sollen, habe ich schon einmal gehört… äh, eng?? Ich dachte hier wären die Straßen eng?!

Am Ausgang bekommen wir dann doch noch Schwäne zu Gesicht, die hier ganz entspannt im Familienkreis chillen und sich nicht einmal von meiner Hundedame beeindrucken lassen. Vom Kirchhof kann man einen kleinen Blick über die Dächer werfen und die Ruhe des Ortes ganz aufsaugen. Welch ein Kontrast zu dem nur wenige Minuten entfernten Touristeninferno.

Im örtlichen Mini-Spar kaufe ich noch etwas ein und werde vom Verkäufen für meine gute Auswahl an Lebensmitteln gelobt. „Sie ernähren sich aber gut!“, meint er mit Blick auf Olivenöl, Brokkoli, Eier, Käse und Äpfel. Wahrscheinlich ist er aber nur froh, dass den Brokkoli jemand mitgenommen hat. So ganz frischefrisch ist der nämlich nicht mehr 😉

Nun noch ein fröhliches Bild aus dem Subtropical Garten zum Schluss. Hier in der Nähe lebte und verstarb die echte Alice, also die Frau, die dem Buch von Lewis Carroll Pate gestanden haben soll. Immer wieder findet man – vor allem in den Gärten – Bilder, Statuen, Skulpturen, die Szenen aus dem Buch nachstellen oder zumindest daran erinnern. Ob es diesen Frosch hier bei „Alice im Wunderland“ wirklich gibt, weiß ich nicht, aber er hat mir gut gefallen und wenn er ein Wohnmobil unter dem Hintern hätte, könnte er mein Alter Ego sein.

habt einen guten Abend und kommt gut durch die Nacht.

2 Gedanken zu „Alter Ego“

  1. Wieder ein Tag voller herrlicher Eindrücke, im Garden center &café hätte ich euch gerne begleitet, liebe Marion! Und diese Hortensien! Da kommt unser Bretagnepark kaum mit!
    Wir werden jetzt auch den Tag beenden und grüßen euch ganz lieb, eure Médrouxer

  2. Wahnsinn! Die Sonnenaufgangs-Bilder sind wunderschön!!!! Was für herrliche Momente konntest du wieder erleben. Alleine wegen der herrlichen Gärten würde sich eine Englandreise lohnen. Ich bin begeistert! Stark, dass du nicht schwach geworden bist beim Pflanzenkauf. Ich habe mir aus Maastricht eine neue Hortensie mitgebracht. Da konnte ich nicht vorbei…. Liebe Grüße von der Netti

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