Bettyhill Garage

Boah, was für ein Tag!

Wetteraussichten schlecht bis bescheiden. Es schüttet. Da wir aber sowieso nur langsam vorankommen, hier auf den einspurigen Straßen, zuckeln wir mal los. Erstes Ziel Durness, da gibts ne Höhle und ein Künstlerdorf.

Vorher geht es aber über einsame regenbeschauerte Ebenen. Eigentlich ist die Stimmung bei diesem Wetter hier oben ganz etwas Besonderes. Die Landschaft bekommt etwas Magisches, Unwirkliches. Na vielleicht zeitweise…

Manche finden das Wetter aber auch wirklich sehr geeignet, z.B. zum Angeln.

Balnakeil Craft Village besteht aus mehreren flachen Gebäuden. Früher, das heißt bis in die 60er Jahre, waren darin militärische Einrichtungen untergebracht. Dann übernahm eine Künstlerkommune das heruntergekommene Objekt und langsam siedelten sich neben Malern, Töpfern und Designern auch ein Chocolaterie und ein Cafe an.

Hier geht es nicht so ganz ordentlich und zielgerichtet zu. Alles ist ein bisschen anders und … na ja, kreativ halt. Nur das Cafe mit angeschlossener Pralinenmanufaktur, das auf den schönen Namen „Cocoa Mountain“ hört, macht einen aufgeräumten und vor allem sehr leckeren Eindruck. Der größte Vorteil gegenüber allen anderen Galerien und Werkstätten: Es hat offen. 🤗

Ich gönne mir einen Milchkaffee und eines der leckersten Croissants, die ich je inner- oder außerhalb Frankreichs gegessen habe. Wenige Gästen schlemmen gemeinsam mit mir z.B. die ausgewiesen leckerste Hot Chocolate Schottlands. Als ich den Barkeeper aber frage, wann die Galerien öffnen, antwortet er: „Grmlfsndrmst…“ Was ich mit “Das weiß man nie so genau.“ übersetze.

Und dann habe ich noch eine Begegnung mit ihm hier:

Phil hat auch ein Studio im Areal und zwei Hunde. Als ich mit Luna noch einmal übers Gelände schlendere, in der Hoffnung, doch ein paar Kunstwerke begutachten zu können, saust ein kleines kaputtes Auto an uns vorbei und parkt vor der „Art Gallery“.

Heraus springt ein voll tätowierter Mittdreißiger, bekleidet nur mit Shorts und Badelatschen, über der Schulter ein altes Handtuch. Der fühlt sich sichtlich wohl in seiner Haut und scheint vom Schwimmen zu kommen. Man beachte, dass die gefühlte Außentemperatur unter 10 Grad liegt, ich trage Shirt, Pulli und Tegenjacke! Hinter ihm springen ein Wolf und ein Pitbull aus der “Gurkenkiste“. Der Wolf ist friedlich, aber der Pitbull stürzt sich sofort auf Luna. Als der Tätowierte das sieht, schmeißt er Badelatschen und Handtuch weg und rennt seinem Hund hinterher. Ich sehe nur flitzende Tatoos in Shorts… Dazu ertönt völlig hysterisch ein ohrenbetäubendes Geschrei, als ginge es um sein Leben. Er wirft sich auf den Rasen, dem Hund in den Weg, auf denselben drauf und versucht ihn zu fassen. Das ist aber gar nicht so leicht. Luna flieht kreischend und der Pitbull stürzt sich immer wieder auf sie. Ich kann gar nichts machen und versuche ihr, wie wir das geübt haben, Schutz zwischen meinen Beinen anzubieten, aber sie ist so panisch, dass sie nur noch weg will. Ich bin wie erstarrt und beobachte den rasenden Hund, den rasenden, auf dem Boden im Matsch schlitternden Mann, meinen flüchtenden, armen Schatz. Dann hat er ihn, den Widerling und wirft ihn ins Auto. Sofort kommen die Tattoos in Boxershorts zurück, wollen Luna streicheln, die will aber nicht. Phil entschuldigt sich aufgeregt und wortgewaltig, bietet seine Telefonnummer an – äh die steht dort auf dem Plakat?? – kann sich kaum beruhigen. Eine Künstlerin aus dem Nebenhaus ist auch auf dem Plan erschienen, schaut ihn streng an und erkundigt sich nach Lunas Wohlergehen. Jetzt erst einmal durchatmen. Der Hundedame geht es gut, Bisse sind keine zu sehen und ich nehme die Entschuldigung an. Sicherlich war das nicht der erste Zwischenfall, denn wie in Millisekunden absolute Coolness in derartige Panik umschlagen kann, war mir neu, habe ich so nocht nicht erlebt. Phil dreht sich um und verschwindet im Studio. Fertsch!

Heute also keine Kunstwerke. Dann auf zur Höhle. Schon seit der Wikkingerzeit nutzen Seefahrer die Smoo-Höhle, die eine Anbindung an den gefährlichen Pentland Firth hat, als Unterschlupf, wenn Winterstürme eine Weiterreise unmöglich machten. Heute ist sie eine der wenigen Touristenattraktionen im nördlichsten Schottland.

Über Holzstiegen, die wegen des Regens heute sehr rutschig sind, gelangt man hinab und kann in der Höhle einen tosenden Wasserfall bestaunen.

Eigentlich gibt es noch Bootsfahrten und Führungen, aber die fallen heute aus … wegen?… ja, weswegen eigentlich? -wegen issnich.

Wir umkreisen die Höhle und Luna macht sich schon wieder auf die Schafspirsch. Als diese dann völlig verängstigt am Klippenrand stehen und nicht mehr wegrennen können, weiß meine Hundedame auch nicht, was sie nun tun soll und bellt einfach mal lautstark.

Ich muss besser aufpassen und wenn Schafe in der Nähe sind – Leine dran – in Schottland dann also eigentlich immer.

In dieser Gegend gibt es fantastische Buchten und Sandstrände. Das Wetter lädt nur gerade so überhaupt nicht zum Baden ein. Dafür könnte man aber etwas anderes probieren: Zipline

Nix für mich, also weiter. Wir halten bei einer alten Siedlung, die den Clearances zum Opfer gefallen ist an. Mit der Industrialisierung Ende des 18.Jahrhunderts begann neben der Landflucht auch der Bedarf an Schafwolle zu wachsen. So waren die schottischen Gutsherren daran interessiert, soviel wie mögliche Schafe auf die Weiden zu bringen. Dafür sollte die Landbevölkerung weichen. Das geschah auch mit Gewalt und hatte viele Auswirkungen. Mit den Menschen verschwand so zum großen Teil auch die gälische Sprache. Viele Schotten wanderten aus und ihre Kultur verschwand. Allerdings verstehe ich bei den riesigen Flächen hier im Norden nicht, wieso für die Schafe gemeinsam mit den Menschen kein Platz war… Das jedenfalls ist ein Beispiel für die Überreste einer solchen Siedlung und man sieht, welch genialen Platz sich die Bauern damals wählten.

Auch jetzt ist Lunas Leine immer unter Spannung, denn die Wege da unten stammen nicht von Menschen. Auch heute noch haben hier die Schafe das Sagen.

Die Schafherde fest im Blick.

Noch mehr Buchten, aber nicht das Wetter dazu.

Nun kommt der Loch Eriboll in Sicht, ein Meeresarm, der sich weit ins Land hinein erstreckt und bei dem selbst Radfahrer im Reiseführer gewarnt werden, die Anzahl der Meilen bei einer Umfahrung nicht zu unterschätzen. Schon als Womofahrer wird das schon langsam anstrengend, denn wir befinden uns weiterhin nur auf Single-Track-Roads mit Passing Places. Die Landschaft ist allerdings bei jedem Wetter faszinieren und nicht zum Sattsehen.

Am Westufer hat Lotte Glob ihr Refugium. Sie ist 1944 in Dänemark geboren und seit den 60ern hier am Loch zuhause. Damals als Mutter eine kleinen Tochter, ohne Geld und mit großen Ambitionen als Künstlerin baute sie sich ihren Brennofen selbst und wohnte kostenlos in einer Hütte. Heute lebt sie auf einem mehr als 3 Hektar großen Gelände in einem Haus, dass im Jahr 2015 der Archtekt Gökay Deveci baute und dafür sogar eine Preis bekam

Rundherum ist eine Art „Skulpturenpark” entstanden, in dem ihre von der Natur inspirierten Werk mit ebendieser verschmelzen. Es gibt keinen Lageplan, keinen Wegweiser, man streicht einfach so durchs schottische Land und stößt ab un zu auf Kunstwerke. Aber zuerst stehe ich mal am Eingang und komme mir vor wie ein ungebetener Gast, denn obwohl ein großer Parkplatz angelegt ist, steht keiner darauf. Das Tor ist geöffnet und ihre Webseite lädt ausdrücklich zum Besuch des Gartens ein.

Zuerst komme ich an einer Art Gallerie und der Werkstatt der Künstlerin vorbei, die Tür steht offen, gern würde ich sie fragen, ob das okay ist, wenn ich hier entlang schlendere… keine Seele zu sehen … Stille

Ihre Objekte sind alle sehr rau, ungeschliffen, zum Teil unglaublich farbig, aber mit vielen Ecken, Kanten, unperfekt… scheinen, wie von der Natur geschaffen.

Doch am meisten faszinieren mich die steinernen Bücher. Vor allem im halbfertigen Turm, hinten im Gelände, in dem ich mich nun Schritt für Schritt willkommener fühle und immer noch allein bin. Von dieser ”Steinernen Bibliothek” hatte ich schon gelesen und dass der Turm einem piktischen ”Broch”-Rundhaus nachempfunden ist. Zwischen den tönernen ”Seiten”, die sich wellen, als hätte sie der Regeimmer wieder durchfeuchtet, sind Gesteine eingeschmolzen. Bergkristalle, Kiesel, Halbedelsteine. Die sammelt Lotte Glob auf tagelangen Wanderungen durch die schottischen Higlands… so die Autoren von ”500 Meilen Schottland”.

Alles scheint wie in dieser magischen Landschaft entstanden. Vom Broch hinab führt ein Weg, an dessen Rändern es aussieht, als würden die Seiten der Bücher herausgeflogen sein.

Auch verschiedene andere tönerne Kunstwerke sind hier und da mit der Landschaft verwachsen , oft so, als seien sie fallen gelassen, vergessen, von selbst gewachsen. Und scheinbar soll man wirklich auf Entdeckungsreise gehen, so nahe am privaten Refugium der Frau Lotte.

Mit durchnässten Schuhen komme ich zurück zum Haus, neben dem ein wunderbares Gewächshaus aufgebaut ist. Offenbar ein Ort zum Verweilen.

Und auch andere haben hier schon ihre Schuhe durchnässt

Völlig beeindruckt verlasse ich das Gelände und bin dankbar für die schöne Wanderung durch dieses verwunschene Stückchen Land.

Weiter gehts auf dem Sigle-Track. Immer wieder ausweichen, anfahren, bremsen… denn auch andere Urlauber und Einheimische sind unterwegs. Ich halte für einen Van und will wieder starten, da kommt ein Audi angebraust und ich fahre flink wieder zurück in meine Ausweichlücke, da knirschts… ich habe das Schild übersehen, das weithin sichtbar jedesmal ankündigt, wenn es eine Insel zum Platz machen gibt. Mist, das klang komisch. Soll ich lieber gleich nachschauen? Ich halte an einer schönen Bucht, aber die macht den Schmerz kaum erträglicher.

Erst sieht es nur nach einem Kratzer an der Box aus, aber dann sehe ich den Schaden, der linke Rückscheinwerfer hat was abbekommen. Sch… !!!! Die Lichtprobe zeigt: alles okay außer… der Blinker. Was nun? Leichte Ratlosigkeitr macht sich breit. Hier oben in der Einsamkeit, da kennt noch nicht einmal Google Maps eine Werkstatt… ich rufe beim ADAC an, vielleicht wissen die Rat… außer einer langen Leitung hat da keiner was für mich, ich soll ne Mail schreiben ???? weil alle Leitungen besetzt sind ????

Ich fahre erst mal vorsichtig weiter, aber irgendwie ist das doof. Ich kann noch nicht mal jemanden vorbei lassen, weil die das ohne Blinker nicht verstehen und denken, ich warte auf Gegenverkehr. Wat nu? ne Strandwanderung muss her – ich brauch klaren Kopf. Der kleine Weiler Bettyhill hat einen solchen zu bieten.

Und ein Museum gibts hier auch. Da schau ich mal nach, wann die morgen öffnen, denn es ist schon nach Fünf. Eine junge Frau erklärt mir alles und weil die so freundlich ist, farg ich doch gleich, ob sie Hilfe in Sachen Licht weiß. Ja, na klar. Da vorn rechts rein: Bettyhill Garage. Waas, ich bin begeistert! Ich werd fragen, ob sie vielleicht morgen einen Termin haben, denn heute … ist schon spät… “Ach, wenn Sie sich beeilen… die sind bestimmt noch da.” Und tatsächlich: 20 Minuten später habe ich ein funktionierendes Rücklicht (Blinker) und auch die zersplitterte Plastik ist geklebt. Für 10 Pfund. (und ein fürstlichen Trinkgeld) Was für eine Last fällt da ab.

Dieser Tag war das Bergfest meiner Reise und ich bin völlig fertig. Unweit des Weilers gibt es eine Anhöhe mit Parkplatz. Das ist meiner. Und dann werde ich noch mit diesem Abendlicht beschenkt. Hammer. Danke!

4 Gedanken zu „Bettyhill Garage“

  1. Was für ein aufregender Tag, meine Liebe, aber immer wieder muss ich sagen: du meisterst das, und wie! Das ist eben Marion! Im Augenblick meine ich, du bist in einer anderen Welt, auf einem anderen Globus! Wir schwitzen bei 35 und mehr Grad! Passt auf euch auf, Luna an die Leine!!! Die Landschaft ist unbeschreiblich schön, traumhaft deine Fotos und Geschichte der Künstlerin!
    Und dieser Abendhimmel!! Wahnsinn, ich drücke dich, bonne chance, deine Bretagnemamie

    1. Oh ja, das denke ich auch und würde meinen Hortensien daheim gern etwas von dem Regen schicken. Das mit der Leine wird gemacht 👍 beim Pitbull war es aber eher von Vorteil, da konnte sie abhauen… Ich hoffe ihr könnt immer mal vor der Hitze ans Meer flüchten und drücke dich ganz herzlich aus der Ferne🥰🥰🥰🥰🤗🤗🤗🤗

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