Tinitus

Er war gnädig, sehr sogar, der Wettergott und ich lese am knisternden Feuer, bis die Dunkelheit alle Buchstaben verschluckt.

Es ist langsam an Heimreise zu denken. Die Schnauze der Wohnmobils zeigt immer öfter in Richtung Süden, doch einen Termin habe ich noch. Schweden das Land der Trödelmärkte, da muss ich doch auch mal einen besuchen und im Internet stieß ich auf den Oestregård-Flohmarkt bei Moheda, etwas nördlich von Växjö.

Deshalb tuckern wir am frühen Morgen doch noch einmal in Richtung Osten und kommen an dem Nationalpark vorbei, den ich eigentlich immer gemieden habe, weil er mir zu uninteressant vorkam. Doch jetzt steht da in dicken Lettern „Store Mosse-Nationalpark“ am Straßenrand. Da halte ich dann doch an. Vorher jedoch, auf dem Weg dahin, entdecke ich noch etwas anders:

Eine riesige Herde, wunderschön anzuschauen, aber leider nur hinter einem Zaun…☺️

Auf dem Parkplatz des Nationalparks mehr Gewusel, als ich gewöhnt bin, aber beim Laufen treffe ich erst einmal niemanden.

Kilometerlange Plankenwege führen durch das größte Moorgebiet Schwedens. Am Rand steht noch ein kleines Kirchlein, aber dann erst einmal nur Holzplankenwege.

Die Natur rundherum wechselt von Birken- über Nadelwald, auch ein Sanddüne ist mal dabei, mitten im Moor(!). Die kleine Tafel am Weg erklärt warum: Der Sand ist das Bett eines voreiszeitlichen Sees. Als das Eis verschwand und das Land sich hob, trocknete der See aus und dar Sand blieb. Darauf entstand dann mit der Zeit das heutige Moor.

Auf halbem Weg passieren wir einen winzigen Hof. Eines der Häuschen kann man mieten, das andere ist eine kleine Schutzhütte, in die man einfach hineingehen kann.

Auch eine Pumpe für Trinkwasser steht zur Erfrischung bereit.

Ansonsten sind das hier halt 12km Rundwanderweg um und durch ein Moor. Ich würde sagen: Das ist der uninteressanteste Nationalpark, den ich besucht habe.

Allerdings sehen das viele Touristen anscheinend anders. Zwei deutliche Merkmale zum Beweis: Erstens ist die DSLR-Dichte hier unfassbar. In meinem gesamten Urlaub habe ich nicht so viele, ach nicht einmal die Hälfte der Anzahl der Spiegelreflexkameras um die Hälse vorzüglich deutscher Männer baumeln sehen. Ich frage mich: Was um Himmels Willen, gibt es hier zu fotografieren?

Zweitens ist der Parkplatz, als ich meine Runde beendet habe bis zum letzten Platz vollgestellt.

Also ich finde das hier eher unspannend, was man auch daran merkt, dass sich mein Gehirn mal wieder selbstständig macht und meinen Mund sinnlose Melodien pusten lässt. Das kenne ich schon von anderen Wanderungen, meist im Schritttempo und immer Lieder, die ich gar nicht kenne 😳. Auch Luna zeigt Anzeichen von Langeweile und fiepst beim Gehen auf den Planken… gabs auch noch nie. Jedenfalls haben wir was für unsere Gesundheit getan und damit es eine ausgleichende Gerechtigkeit gibt, beschließe ich, mir heute eine dicke Pizza zu gönnen. Google maps schlägt mir auch gleich ein sehr gemütliches Restaurant mit guten Bewertungen im Nachbarort vor und nach 15 Minuten stehe ich dort … – … vor verschlossenen Türen. Okay, dann halt doch Womo-Küche. Schnell noch ein paar frische Zutaten besorgt: und da gibt es doch bei „Coop“ eine so wunderbare Salattheke, dass ich mich schon fast wieder über die geschlossene Pizzabude freue.

Nun hat das Internet aber einen gut bei mir und muss mir wenigstens einen passenden Stellplatz vorschlagen. Mein Womo muss durchgespült werden. Und schnell finde ich einen Stellplatz nicht weit weg vom Trödelmarkt für morgen mit hinreißenden, überschwänglichen Bewertungen: klein, freundlich, im Wald, See dabei, einsam… passt, nichts wie hin.

Die letzten 5km zeigt das Navi wieder Waldweg und dann, mitten im Wald: Ziel erreicht. Och bitte, was soll das denn, hier ist doch nur… ein kleines Gehöft…, ja vielleicht ist es das ja?? Und schon kommt eine freundliche junge Frau, mit blondem Pferdeschwanz und Jeans aus dem Hof und ruft auf Deutsch: “Ja, hier sind sie richtig!“ Und schon entspinnt sich ein tolles Gespräch. Sie erzählt, dass sie mit ihrem Mann, Hund, Katze und Pferden vor zwei Jahren hierher ausgewandert sein. Handwerker sind in Schweden gesucht und sie haben auch sofort Arbeit gefunden. 15ha, ein Haus, Scheune, kleines Gästehaus und einen halben See nennen sie nun ihr eigen und überlegen gerade, die große Wiese vor dem Haus als Stellplatz herzurichten. Strom gibt es schon, aber leider noch nichts anderes. Das kommt aber noch.

Und wenn ich Lust hätte, könnte ich auch rudern, am See läge ein Boot, das weiße, man müsste nur vorher etwas Regenwasser ausschöpfen. Allerdings sei das ein Moorsee, mit hohen Uferkanten. Wenn ich zum Schwimmen möchte, dann einfach 10 Minuten in die andere Richtung laufen und da gehts zum See mit dem bequemen Einstieg… So nett empfangen zu werden ist schon mal wirklich wunderbar.

Und so schnattern wir am Tor noch eine Weile weiter, bis ich mich dann auf meinen herrlichen, sonnenbeschienenen Riesenstellplatz begebe, der mir erst einmal allein gehört. Dort gönne ich mir das festliche Mahl, einen Nachtisch habe ich mir auch noch gekauft (Ben&JerriesEis – wer das kennt 😋) und dann gehts zum Rudern.

„Ein bisschen Regenwasser ausschöpfen… „ Nun ja, das Boot ist, so wie ich das sehe, fast halbvoll und ich habe eine ganze Weile zu tun, es vom Wasser zu befreien. Ein kleines Auto fährt vorüber, darin ein Mann , der freundlich winkt, ich schöpfe weiter.

Endlich leer!

Als ich fertig bin versuche ich, meinen Hund hineinzulocken. Luna macht einen Versuch auf dem wackligen Kahn und verschwindet danach sofort wieder im Blaubeergestrüpp des Ufers… no way! Ich rudere also ein bisschen für mich allein, Luna rennt derweil am Ufer entlang und wundert sich.

Drüben sehe ich noch hübsche Picknick-Bänke am Ufer stehen und daneben… ein zweites Boot, auch weiß und zwar innen UND außen. Das darin befindliche Regenwasser hätte ich mit dem Handtuch aufwischen können. Ich beuge mich über Bord und sehe, das Boot in dem ich sitze ist orange… Na super!

Wenn Luna eh keine Lust auf Rudern hat, dann wandern wir noch zum anderen See, wunderschön in der Abendsonne,

mit kleinem Bauwagen am Rand und die Pilze hier wachsen sogar schon aus dem Schotter der Anliegerstrasse. 

Als ich zum Platz zurückkomme hat sich noch ein Rostocker Bus hinzugesellt. Ich schnappe mir mein iPad und setz mich im Abendlicht an den See zum Schreiben. Wunderbar: Der See ist glatt und spiegelt das Ufer, die Seerosen haben ihre Blüten geschlossen, Luna liegt neben mir im Blaubeergestrüpp und das Einzige, was ich höre ist… mein Tinitus. 

Es wird kalt und ich laufe zurück zum Stellplatz. Da stehen die beiden jungen Besitzer schon am Rostocker Bus zum abendlichen Begrüßungsschwatz. Freundlich und zugewandt kommen sie dann auch noch einmal zu mir und ich bin begeistert. So viel Ideen, Inspiration, Tatkraft und Optimismus strahlen die beiden aus. Ich frage sie nach ihren Erfahrungen hier und sie schwärmen von der Hilfsbereitschaft und Offenheit der Schweden, die besonders froh darüber sind, dass der Hof eine ständige Bewirtschaftung erfährt und nicht nur als Wochenendhaus bewohnt wird. 

Gerade hat Andre eine kleine Baufirma gegründet, einfach im Internet in 30 Minuten („Wenn man Schwedisch kann dauert es nur 10“, meint Andre. ) und baut gemeinsam mit seiner Frau alte schwedische Holzhäuser aus. Aber auch andere Projekte packen sie gemeinsam an, so ist neben dem Stell(Zelt)platz noch ein Gästehaus geplant. Sogar ein flexibles Tinyhaus soll entstehen, was man dann am See oder mitten im Wald buchen kann. Projekt Nr. 3 – ein Baumhaus für digitale Nomaden, alles in engem Kontakt zur Natur, Ruhe und schwedischen Gelassenheit. Tolle Projekte, wie ich finde!

Sicher kann man die Ergebnisse bald auf einer Website begutachten. Die junge Frau will sie in den Wintermonaten aufsetzen. Stichworte: Lindö; Camping – da wird man dann bestimmt fündig. 

Über die Sache mit dem Boot lachen wir gemeinsam und der winkende Mann im Auto, das war der Nachbar, der hat sich gefreut, dass jemand sein Boot ausgeschöpft hat 😆

Was für ein inspirierendes Gespräch, ein wunderbarer Ort und zwei Menschen, die es wagen, ihren Traum zu leben. .

 Beseelt verschwinden wir im Womo, Luna fällt übergangslos in den Tiefschlaf und ich mach das hier eben noch fertig und dann beginnt auch für mich eine – Gute Nacht 🌙 

Leider wurde es gestern Abend dann doch nichts mehr, denn das Netz ist in dieser Einsamkeit einfach zu langsam 😉

5 Gedanken zu „Tinitus“

  1. Liebe Schulzi,
    auch wenn dir der Abschied von Schweden und deiner wunderbaren Freiheit und Sorglosigkeit schwer fällt,lass dir sagen,ich freue mich riesig ,dass du so einen tollen Urlaub hattest und auf ein glückliches Wiedersehen.
    Komm gut heim
    Bis bald
    LG Susi

  2. Hej Schulzi, was für ein herzerfrischender Reisebericht, vielen Dank. Im Nationalpark waren wir auch noch nicht, aber Andre‘ und Angi kennen wir gut und deine Schilderungen von der wunderbaren Gegend und den Beiden können wir nur dick unterstreichen. Beim nächsten Besuch nimmst du einfach gleich das richtige Ruderboot 🤣. Wie schön, dass du dich bei Andre‘ und Angi auch so wohl gefühlt hast. Gute Heimreise mit so tollen Eindrücken im Gepäck. Liebe Grüsse Kerstin

    1. Hallo Kerstin, klasse, dass dir mein Bericht gefällt, aber es war ja auch so richtig spitze bei und mit den beiden… jetzt weiß ich auch, wie „sie“ heißt, das hatte ich ganz vergessen zu fragen. Und deshalb bei dir jetzt gleich: Wer bist du eigentlich? 🤣🤣🤣🙋🏻‍♀️🐶🇸🇪

      1. Hej Marion, wir sind Andre’s Eltern, also Angis Schwiegereltern. Dein Bericht hat uns so herrlich gefallen. Wir kennen natürlich die Gegend sehr gut und finden es einfach traumhaft. Im November ziehen wir dauerhaft zu den Beiden und wollen sie bei der Verwirklichung ihrer Träume und Pläne unterstützen. Was kann es als „Neurentner“ Schöneres geben, als bei seinen Kindern und in der wunderschönen Gegend hilfreich zu sein und seinen Lebensabend genießen. Wir hoffen, wir werden uns dort mal persönlich kennenlernen. Ganz Liebe Grüße

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