Gespräche

Abends sitze ich noch lange am Feuer und stricke, mitten in der Wildnis, Luna schläft, die glühenden Äste knacken … sonst ist Ruhe.

Morgens um 8:00 stehen wir gestiefelt und gespornt auf der Nyvallen-Alm. Dort beginnen im Sonjefjällett einige Wanderwege. Ziegen und Kühe werden hier noch ganz frei gehalten und des nachts kommen sie freiwillig nach Hause, denn in diesem Nationalpark leben Bären.

Ich entschließe mich, zu den Seen bei Stor Ryvålen zu laufen. Erst gehen wir durch kleine, krüppelige Erlenhaine.

Die Wege hier haben laut Hinweisschild die Kühe angelegt.

Ich überquere einige Bäche – Luna hüpft meist voller Freude erst einmal hinein. An einem entschließe ich mich zu kosten, knie mich auf dem Brett nieder und trinke frisches, klares Wasser, als eine Stimme brummt: … Nein – nicht „Wer aus mir trinkt, wird ein Wasauchimmer!“ Sondern irgendetwas Unverständliches – wahrscheinlich auf Schwedisch. Ich schaue auf und vor mir steht ein Mann. Er zeigt auf meinen Hund und brummelt. Ich entschuldige mich auf Englisch, dass ich kein Schwedisch verstehe und so sagt er: „Dog!“ und zeigt auf die Leine, die an meinem Gurt baumelt. Oh ja, natürlich habe ich den Hund immer an der Leine, nur im Moment…., das tut mir sehr leid, trinke ich gerade. „I can see!“ ist die Antwort. Die Szenerie einigermaßen lustig: Ich auf Knien auf dem Bachbrett, er davor, grimmig blickend. Ich hieve mich hinauf und sage freundlich mit einem Blick auf seinen Arm: „Ach sie arbeiten wohl hier.“ „I am a Ranger.“ Klingt es noch etwas mürrisch, wo ich denn hinwolle. „Dahin.“ zeige ich ihm brav auf meinem iPhone das Ziel und er grinst. Heute kommt hier kaum noch einer ohne Handy, aber wenn da mal der Strom alle ist… das Eis scheint gebrochen und wir kommen ins Gespräch.

Zwei Minuten später läd er mich auf einen Kaffee „auf die Bank da“ ein. Ich lehne dankend ab – zeige ihm meine frisch gefüllte Wasserflasche (wir haben nur einen Becher ! Coronaaaaa!), biete ihm aber etwas von meinem gestern gekauften Smörebrød an. Darüber freut er sich und greift gerne zu. So sitzen wir bei Kaffee und Smörebrød und unterhalten uns über den Park, seine Arbeit, Hunde (und dass ich meinen jetzt nicht ganz so unbedingt und immer schon gar nicht anleinen müsse), seine Deutschlandreise vor einigen Jahren mit Heidelberg und Dresden, über seine Parkinson-Erkrankung… die Diagnose erhielt er ein Jahr nach seiner Mutter…. Unser beider Englisch ist jetzt nicht so ganz der Knaller, aber irgendwie verständigen wir uns. Ich frage ihn noch, wie das mit den Bären im Gebiet ist. „3-4 allerhöchstens.“ na das geht ja! Und dann zeigt er mir noch ein Bild im Nationalparkprospekt, dass er selbst fotografiert hat.

Eine riesige Herde Rentiere, oben vom Berggipfel aus fotografiert. Wahnsinn soviel auf einmal. Warum die denn in so großer Anzahl hier entlang gingen, wollte ich wissen. Mancher wäre ja schon froh, mal eines zu sehen. In meinen Gedanken kommen jetzt Erzählungen von Weidegründen und Wanderungen der Herden, so wie in den Tierdokus… Er tippt auf zwei schwarze Punkte im Bild. Die zwei da hinten, die kenne ich. Das sind Bauern aus der Gegend, die treiben die Tiere für den Winter ins Tal. „Plopp!“ das war meine Wildtierromantik-Seifenbblase.

Ich erkläre ihm, dass ich gestern bei Old Tjikko war. „So einen haben wir hier auch.“, kommt als Antwort. „Der heißt „Old Rasmus“, und die Frau, die ihn entdeckt hat, kenne ich.“Hä? Wieviele älteste Bäume gibt es eigentlich? In der späteren Recherche stelle ich fest, das Old Rasmus ein sogenannter „Klon“ ist. Vom ursprünglichen Baum ist nichts mehr übrig, genetisch gesehen ist es aber das gleiche Material. Old Tjikko dagegen hat wirklich noch 9500 Jahre alte Wurzelteile. Deshalb der Bedeutungsunterschied.

Zum Schluss stellen wir noch fest, dass wir fast ein Jahrgang sind und freundlich marschiert jeder in seine Richtung weiter.

Ich schaue in die herrliche Landschaft und denke: eigentlich ein guter Job. Er hatte mir auch erzählt, dass er nicht in Pension gehen möchte, denn er macht das hier so gern: auf Frauen wie mich aufpassen, die ihren Hund nicht anleinen. 😉

Das Gespräch klingt noch lange nach und ich merke kaum, wie ich nach 6km bei meinem Ziel ankomme. Niemand ist mir bis dahin begegnet, auch am See wunderbare Einsamkeit.

Nur Luna und ich und so legt Luna ab und springt ins kühle Nass. Das Geschirr trocknet derweil in der Sonne und wir geben uns danach einem Selfishooting hin. Ich bin so stolz auf die Maus. Ein richtig lieber Wanderhund. Wartet nach 50m und dreht sich um, wo Frauchen bleibt. Küsschen dafür.

Nun treten wir den zweiten Teil der Runde an, vorbei an spiegelnden Seen, gespenstischen Baumresten und glasklarem Wasser.

Nach der Hochebene geht der Abstieg durch einen Märchenwald mit alten, flechtenüberzogenen  Fichten und plätschernden Bächen.

Luna läuft voran, da höre ich eine freundliche Frauenstimme: „Guck mal, auch ein Aussie!“ Gott sei Dank, kein Gemecker oder genervte Besserwisser…. Ein fröhliches junges Pärchen kommt mit einem Red-Merle-Aussie-Mädchen den Berg hinauf. Und was machen zwei Aussies, wenn sie sich treffen: Spielen bis der Arzt kommt. Und die Besitzer quatschen.. natürlich über Hunde. Äh, warte mal: hatte Luna nicht vorhin. Noch ein Geschirr um? Hat die das jetzt beim wilden Spiel verloren? Oh Mist, das liegt noch am See zum Trocknen. Die jungen Leute bieten sich gleich an, mir das Geschirr mitzubringen, da sie genau die Gegenrunde laufen, aber ich glaube mich schon kurz vor dem Ziel und lehne erst einmal dankend ab. 

Der weitere Weg wird nun ein bisschen voller und nur mit Leine, ohne Geschirr ist das manchmal ein schwieriges Unterfangen, besonders wenn noch ein Aussie kommt. Aber auch hier belgische Fröhlichkeit, Aussiegewusel und ein kurzes Gespräch. 

Nun muss ich aber doch nochmal auf die Karte gucken, müsste nicht bald Schluss sein? Die Schlechte-Laune-Grenze sollte möglichst nicht überschritten werden und auch Luna schleicht schon eher, als dass sie noch springt. Da merke ich, dass der Rückweg doch ein ganzes Stück länger ist und ärgere mich fast, das Geschirr-Rückhol-Angebot nicht angenommen zu haben. Am Ende sind wir noch gleichzeitig da …

Bevor die Zäune der Alm wieder ins Sichtfeld rücken, kommt wieder einer dieser hohen Ameisenhügel, die es hier zu hauf gibt. Die Tiere haben darauf eine Art Blaubeerenplantage „angelegt“… ob sie die auch ernten?

Ziel erreicht!

Hier kann man diese schöne Tour finden:

Ich entschließe mich zu warten in der Hoffnung, dass das Pärchen mein Geschirr gefunden hat. Der junge Mann hatte was von Braunschweig erzählt und zwei Reihen weiter steht ein VW-Bus mit BS. Stuhl und Obst und Wasser, Decke für Luna und ab in den Schatten neben den Bus. Und keine 15 Minuten später kommen die beiden munteren Wanderer und bringen mein Geschirr mit. Was für eine Freude bei Mensch und Hund. Zur Belohnung gibt es Obst und Leckerli für die Hunde. Und dann sitzen wir noch lange unter dem Baum im Schatten und schwatzen.

Niemand hat Zeitdruck, alle scheuen den Waschbrett-Rückweg und es macht große Freude, sich mit diesen beiden fröhlichen und offenen Menschen zu unterhalten. Isabell und Frederick lassen Emmi auch zum Therapiebegleithund ausbilden. Sie wird dann mit der jungen Frau in der Logopädie eingesetzt. Na da gibt es viel zu erzählen.  Auch Reisetipps werden ausgetauscht und ich hab das Warten nicht bereut. Und dann kommt auch noch die Ziegenfamilie von der Alm zu Besuch – herrlich 🤣

Danke an euch beide für die wunderbare Zeit unterm Baum 🌲👍🇸🇪

Jetzt kommt der schwierigere Teil. 14km ca. 7 davon absolutes Waschbrett, Dauer 60 Min. Meine Hände sind noch ganz verkrampft. Also Mister Ranger. Die Anfahrt… das kann man doch was machen…

So ein schöner Tag! Wer hätte gedacht, dass das Highlight noch kommt.

Wir fahren in Richtung Östersund über das im Moment recht verlassene Skigebiet Vemdalsskallett. Da müssen wir über einen kleinen Pass und 300m vor dem Gipfel, etwas Braunes am Straßenrand. Beinahe hätte ich ihn übersehen – aber das steht ein Rentiermann (wie heißt das richtig??? Bock, Bulle…. Keine Ahnung) aber so ein Geweih habe ich in freier Natur noch nie gesehen – wunderschön. Warnblinker an und gaaaanz langsam vorbei. Luna ist fassungslos. Gleich neben ihrer Scheibe, keine 2m… ein Untier! Traumhaft.

Jetzt brauch ich nur noch einen schönen See, denn es ist schon gegen 19:00 und ich bin platt. Wie bestellt so geliefert. Ich fahre mal kurz eine Nebenstraße, weil da unten etwas schimmert und schon erkenne ich einen Stellplatz mit WC direkt am Wasser, 10,- kann man mit „Wish“ – einer schwedischen Bezahlapp loswerden – aber nur, wenn man möchte. Das hier ist gemeinnützig. Cool ich möchte, kann aber nicht. „Do you speak English“, frage ich einen ca. 70jährigen Man, der vor seinem Camper mit seiner Frau in der Sonne sitzt. „Wenn ich will, kann ich auch Deutsch.“, kommt zur Antwort und er lacht und ich auch. Er bezahlt den Betrag und bekommt ihn von mir in bar zurück. Gutes Geschäft und dann noch einen Plausch in der Abendsonne gratis. Er lebt seit den 60ern hier, hatte ein Restaurant, seine Frau ein Café. Jetzt sind beide Rentner und genießen es, vor allem in diesem tollen Sommer, das gabs in Schweden lange nicht, aber auch noch nie so viele Mücken.  Vor allem in Höhe Stockholm bis zur Grenze Norwegens, genau dort, wo er sein Häuschen hat, war es eine Plage. Davon habe ich zum Glück bisher noch nichts mitbekommen.

Nun ist aber auch bei mir der Riemen runter. Luna schnarcht schon seit einer Weile. Ich packe noch mein iPad aus und versuche Versäumtes nachzuholen. Derweil geht die Sonne hinter den Bergen unter und ein genialer Tag zu Ende. Kommt gut durch die Nacht.

8 Gedanken zu „Gespräche“

  1. Ach Marion, so wunderbare Erlebnisse und Bilder… Die Landschaft ist wirklich traumhaft und alle scheinen recht entspannt zu sein. Und dann noch der Elch… Ich weiß nicht, ob Lunchen ihn angeknurrt hätte, wenn er euch in freier Wildbahn begegnet wäre… Schweden zeigt sich tatsächlich von seiner besten Seite… Ich umarme euch!

    1. Da hast du recht, wir fühlen uns pudelwohl und genießen dieses schöne Land. Gerade sitze ich an einem wunderschönen See, Luna tapst durchs Wasser und ich suche die nächsten Stopps aus. Sei lieb gegrüßt in die Ferne von 🙋🏻‍♀️🐶

  2. Hallo.
    Eine sehr schöne Geschichte über eine interessanteWanderung. Ich bin die Mutter von dem Jungen Pärchen Usabel und Frederik und freue mich sehr sie mit ihrem Aussie hier wieder zu finden. Ich kann nur bestätigen, dass sie sehr freundlich und fröhlich sind und einen sehr lieben Hund haben, der mich von meiner Hundephobie geheilt hat. Auch schon vor der Ausbildung als Therapiehund.

    1. Hallo Frau Moser, das freut mich sehr zu hören. Auf die drei können sie ziemlich stolz sein. So ein wunderbares Team!!! Ich habe mich unheimlich gefreut, sie kennengelernt zu haben und wir hatten eine sehr nette Zeit im Schatten unterm Baum 😊 Seien auch Sie herzlich gegrüßt und beglückeünscht zu so tollen Kindern 👍

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