Sacken lassen

„Sea to Sky Highway“ – so nennt sich die #99 ab Pemberton in Richtung Vancouver. Eigentlich müsste es in meiner Richtung „Sky to Sea Highway“ heißen, denn ich komme aus dem Himmel und rolle dem Meer entgegen. Noch vier Tage und ich gebe mein kleines Hotel wieder ab. So langsam füllt sich meine Festplatte im Kopf auch und ich merke, dass Zeit zum Verarbeiten bleiben muss. Vor allem merke ich, dass ich nach den letzten Wochen Natur pur so wirklich gar keine Lust auf Zivilisation habe.

Zuerst aber laufe ich den kurzen Wanderweg am Green River entlang zu den Nairn Falls. Die Sonne meint es heute besonders gut und selbst im Schatten wird es ganz schön warm. Die Falls beeindrucken hauptsächlich durch die Gesteinsformationen, die sie umgeben und die deutlich vom Wasser gezeichnet sind.

Es geht auf Whistler zu. Hier haben 2010 die olympischen Winterspiele stattgefunden und das Städtchen sieht dementsprechend schmuck aus. Auf 5 großen Parkplätzen soll man als Womo-fahrer sogar über Nacht kostenlos parken können. Aber da wird nix draus. 20 CAD am Tag oder 5 CAD die Stunde. Nö Leute, wo ich doch eigentlich überhaupt keine Lust hab auf dieses Gewusel, was hier stattfindet. Und mit einem Stadtbummel kann ich gerade auch nichts anfangen. Rückwärtsgang rein und weg hier… brauch ich grad nich!

Weiter gehts auf dem Highway #99, vielleicht wäre das olympische Dorf ja was… doch eigentlich ziehts mich eher an einen See mit schattigem Plätzchen. Der Abzweig zum Olympiadorf verspricht auch eine „Recreation Area“… aber nix nur 10 CAD Eintritt am Pförtnerhäuschen. Ach lass mal! Irgendwie kommt der Tag heute schlecht in Fahrt. Aber abwarten!

Der Sea to Sky Highway ist zwar sehr schön, gut und oft mehrspurig zu befahren, aber wie gesagt… Zivilisation irritiert mich gerade ein bisschen und das entspannte Fahren auf der Duffey Lake Road ist mit der Raserei hier nicht zu vergleichen. Außerdem auch hier: Fotohaltepunkt oft Fehlanzeige!

Mittagspause an den Bandywine Falls. Das wird nun definitiv mein letzter Wasserfall, denn die Anzahl der bisher begutachteten ist mittlerweile beachtlich. Auch hier schlängelt sich ein kurzer Weg am Fluss entlang und es wird oft und deutlich davor gewarnt, darin zu baden, da ja die Wassermassen gleich ins Tal stürzen. Und wie tief sie fallen, darum haben im 19.Jhd. zwei Landvermesser gewettet. Der eine setzte eine Flasche Brandy, der andere eine Flasche Wein und so kam der Name zustande. 61m sind es von der Kante und wenn man noch ein Stückchen weiter läuft eröffnet sich ein schöner Ausblick über das Tal und den Daisy Lake.

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Zum Thema Lake… nirgends ein Picknickplatz zu entdecken. Die gab es sonst auf Schritt und Tritt… aber hier? Der Highway braust, die Sonne brennt… so wird das nix. Reiseführer auf: Alice Lake, da gibt es eine Badestelle und einen Campground. Aber wenn im Reiseführer schon steht „beliebt“, dann wandelt das Glück auf wackligen Beinen. Und tatsächlich, alles voll, Strand belegt, kein Platz für die Rollkiste. Aber am Abzweig habe ich doch gerade ein Schild gesehen: „Paradise Valley“ und „Paradise Valley Campground“. Klingt doch gut! 7km durch urigen Wald – er erinnert irgendwie an den Regenwald auf Vancouver Island – und ich stehe auf einem super netten Campingplatz. Das Einzige was stört ist, dass die hier wirklich alles in Fingerpaint beschriften.

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Erinnert irgendwie an Kindergeburtstag, ist aber herzerfrischend. Ein freundlicher Mann im roten Shirt – weiße Aufschrift „Staff“ (Fingerpaint!)- begrüßt mich, fragt woher ich komme und weist mich gleich dem deutschen Mädchen an der Rezeption zu. Sie macht bis Oktober hier Work & Travel und stolpert immer über das „Du“. „Jetzt ist es soweit!“, sage ich zu ihr, „Sobald die Leute das Du nicht mehr über die Lippen kriegen, wenn sie dich ansprechen, dann bist du alt!“ Sie lacht und bleibt beim „Du“. 🙂

Ein kleiner Laden bietet allerlei Kleinkram an und frisches Eis haben die hier auch – her damit! Schoko/Vanille – der Tag ist gerettet. (Manchmal darf es auch nichts werden mit dem Tag, damit ich verstehe, das mal Pause sein soll.)

Einarmig, die Eistüte in der linken Hand, kurbele ich den Kasten auf Platz B. Kein See aber ein schattiges Plätzchen. Außerdem gibt es eine ausgiebige heiße Dusche nach… lass mal rechnen… 10 (?) Tagen. Auch meine Klamotten brauchen einen Waschgang, wenn ich in Vancouver nicht als Outlaw durchgehen will und in Ermangelung einer Leine muss ein Baum ein paar Blätter lassen. das funktioniert wunderbar!

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Hoffentlich hat das keiner gesehen, denn die sind hier wirklich sehr um den Naturschutz bemüht. Sogar Trampelpfade sollen mit dem Hinweis „Wald bei der Arbeit!“ vermieden werden.

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Uuups, falsche Schriftart!

Ich hab gleich für zwei Nächte hier gebucht. Zwangspause, sacken lassen, Ruhe reinbringen… Das einzig blöde Ding bei drei Wochen Rundreise ist nämlich die Hast. Im Nacken sitzt immer „Da willst du noch hin!“ und „Wer weiß, ob Du hier nochmal herkommst!“ Ich kann das ne ganze Weile auch mit viel Spaß durchziehen, aber aufgepasst! Wenns soweit ist – muss ich mich rausnehmen. Und jetzt ist es soweit. Heute und morgen bleib ich hier. Mal sehen ob ich die Füße still halten kann 😉

Ich befinde mich hier tatsächlich wieder mitten im Regenwald. Das wird bei einem kleinen Spaziergang rund um den Platz deutlich.

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Suchbild: Wo sind die Camper

Die Campsites liegen versteckt im Gebüsch und jeder hat – wie übrigens meistens in Kanada – genug Platz. Der Platz liegt an einem rauschenden Fluss und hi und da gibt es kleine Buchten zum Entspannen. Baden ist bei der Strömung eher schlecht. 2 km flussabwärts setzen die Rafting-Leute ihre Gummiboote ins Wasser.

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Nach einer halben Stunde Rainforest-Wanderung steht plötzlich – mitten im Wald ein – nein kein Bär – ein Zug. Ganz still steht er da mit seinen gefühlt 120 Waggons, mitten im Wald!

Wer als Eisenbahnfan nach Kanada reist, der kommt hier voll auf seine Kosten. Nur wenn nachts die Bahn mitten durchs Wohnmobil prasselt und du die Schubkraft förmlich spürts, dann bekommt das Ganze eine besondere Note. Zum Glück ist der Fahrplan hier recht abgespeckt und das „Monster“ hat mich nur einmal aus dem Schlaf getutet und gerüttelt.

Übermorgen hab ich Porteau Cove reserviert, einen als wunderschön beschriebenen Platz am Hove Sound. Da wird dann auch noch mal am Meer relaxt. Und dann stürze ich mich ins Gewimmel der Großstadt. Dafür muss ich die kommenden zwei Tage Energie tanken. Und wenn ich dann nach Hause komme, brauche ich erst mal Urlaub (grins).

Am nächsten Morgen bummle ich erst mal in den Tag hinein und halte es genau bis 12:30 aus – mit Schuhe putzen 😉 , rumsitzen, Camper sauber machen, schlafen (da hab ich was nachzuholen), über Vancouver nachdenken und lesen … dann wird mir langweilig und ich dreh doch wieder den Zündschlüssel rum. Die Sea to Sky Gondola am Abend wäre doch was… und nun sitze ich erst mal bei Starbucks, gönn mir einen Kaffee Latte  und grüße Euch zu Hause ganz erholt 🙂

4 Gedanken zu „Sacken lassen“

  1. Die allerbesten und heißesten Grüße aus Thühühüringen (derzeit 30 – 32 grad) von mir. Und wieder einmal habe ich deine schönen Bilder angeschaut und die erfrischenden Texte gelesen. Was soll man da sagen: verlängere deinen Urlaub und bleib noch ein bissel dort. Und vielleicht gibts ein Wiedersehen….. wir kommen in 30 Tagen, Grüße von Shaka

  2. Ach Marion, ich kann dich so gut verstehen. Nach Woche in dieser Wahnsinnsnatur hält sich die Sehnsucht nach Zivilisation in Grenzen. Aber zu Hause ist es auch schön. Und wenn du Sehnsucht nach wilder Natur hast, dann sind ja immer noch deine wunderbaren Bilder… Liebe Grüße

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