Geisterbäume

Die Sonne kommt und zwar noch am Abend, sodass ich nach meinem wunderbaren Essen ein Stündchen mit dem Liegestuhl auf die Hundewiese gehe und den Frauen beim Rugby-Spielen zuschaue. Abends packen wir zusammen und setzen unseren Weg nach Lludlow fort. Das kleine Städtchen soll sehr hübsch sein – so wurde mir gesagt. Fachwerkhäuser gibt es in der Gegend so viele, dass man etwas südlicher sogar einen 60km Rundweg eingerichtet hat, auf dem die kleinen Schwarz-Weiß-gestreifeten Dörfchen besucht werden können. Für die, die daran Interesse haben, gibt es hier eine hübsche PDF: Für alle anderen das Hotel „The Feathers“ in Ludlow – ein Beispiel für die fantastische Fachwerksbaukunst der Tudorzeit (erbaut 1619)

Solche Schmuckstücke hat Ludlow ne ganze Menge und auch ein kleines Castle. Aber bevor ich die vorstelle muss ich den Städten hier in der Umgebung einfach mal auf die Schulter klopfen. Anstatt wie in vielen anderen Regionen Höhenbeschränkungen und andere Verbote dem müden Camper entgegen zu schleudern, machen die ihre zentrumsnahen Parkplätze von 18:00 bis 08:00 gebührenfrei und erlauben Womos ausdrücklich die Übernachtung. Da tun dann 5 Pfund Tagesgebühr auch nicht weh und man lässt sicher gern in den Geschäften ein bisschen Geld da – wie ich gestern in Shrewsbury. Ludlow hat da leider nicht viel Glück, denn außer einem morgendlichen Bummel durch die erwachende Stadt, ist bei mir heute nur die Parkgebühr zu holen – aber ich hatte eine fantastische Nacht auf dem zentralen Platz und sogar unter Bäumen.

Durch kleine Hinterhöfe mit hübschen Cafes bummeln wir zur Kirche. Auch die verkauft ab 10:00 Kaffee und Snacks im Kirchengarten. Weiter gehts zum Castle, auf dessen Vorplatz gerade die Marktstände eingeräumt werden. Ich mag diese Morgenstimmung unheimlich. Die meisten Urlauber schlafen, doch alles wird schon vorbereitet. Die Cafes stellen die Stühle raus, putzen nochmal die Tische, die Regale werden eingeräumt und der Markschreier schiebt sich noch schnell sein Frühstücksbrot in den Mund, während er die Tomaten platziert. Der Tag ist noch jung und die Luft frisch, aber das Beste ist heute der Himmel…

Die Schlosstür ist noch zu, verspricht aber für den Juli allerhand Kulturprogramm. Ein letzter bewundernder Blick auf die Fachwerkhäuser der Stadt, dann gehts wieder zurück ins Womo und nach einem gemütlichen Frühstück machen wir uns schon wieder auf die Socken, während sich der Parkplatz so langsam füllt.

Ich muss gestehen, dass es nach so vielen Tagen nicht leichter wird, die Ziele auszusuchen, die man besuchen möchte. Noch eine Fachwerkstatt, noch einen Garten oder das 5.Castle? Ich weiß: das ist Jammern auf hohem Niveau, aber bei dem Angebot, was man gerade in Mittelengland hat, ist die Entscheidung manchmal irgendwie schwierig und ich höre in solchen Fällen gern mal auf meinen Bauch. Und mit seiner Entscheidung bin ich heute wirklich sehr zufrieden. Er wählt National Trust Croft Castle.

Ursprünglich eine Festung der Normannen, wurde es im 17.Jahrhundert beschädigt und danach als Country-Schloss von der Familie Croft, ihres Zeichens Ritter, umgebaut. Bis heute wohnt die Familie hier und in der hübschen Kapelle aus dem 14.Jahrhundert nebenan liegen alle verstorbenen Familienmitglieder beieinander.

Das Innere schaue ich mir nur im Schnelldurchgang an – Luna wartet derweil beim netten Einlass. Aber in allen anderen Arealen sind Hunde erlaubt. So z.B. im typischen Walled Garden mit der roten Backsteinmauer, den hier fast jedes Anwesen besitzt. Und auch dieser hier ist ausnehmend hübsch mit seinen Staudenbeeten, alten Obstsorten des 19.Jahrhunderts, einem kleinen Weinberg und gemütlichen Plätzen zum Ausruhen.

Aber dann entdecken wir, dass es in diesem Jahr eine besondere Kunstausstellung gibt. „Ghost Trees“ heißt sie und ist die Zusammenarbeit eines Malers, einer Autorin und eines Fotografen.

Da auf den 1500 ha des Anwesens eine besonders große Menge alter Bäume zu finden ist, sind natürlich auch ein paar dabei, die nicht mehr voller Leben aber unglaublicher Schönheit stecken. Und sieben davon haben es den Künstlern angetan. Richard Gilbert hat sie gezeichnet, Sara-Jane Arbury schrieb einen Text dazu und Paul Ligas hat sie fotografiert. Der NT hat dazu einen 6,5 km langen Wanderweg entwickelt, an dem man die Bäume besuchen kann. Die Ausstellung der Kunstwerke und Texte ist im ehemaligen Pferdestall untergebracht. Und dort starten wir.

Dann suchen wir den Wanderweg und was finden wir natürlich wieder als erstes? Schafe! So wird der Kunsttrip für Luna gleich nach eine ziemlich anstrengende Lehrstunde zum Thema Impulskontrolle.

Leider verpasse ich aber bei dem ganzen Schafeignorierenlernen die 1000 jährige Quarry Oak, aber wie dieses Bild hier zeigt, schaut ein so alter Baum dann doch nicht mehr ganz so imposant aus:

Die Fotos dieses Künstlers finde ich im Übrigen sehr viel besser als die des Paul Ligas, weshalb ich hier seine Webseite verlinke… tolle Fotos aus Croft Castle and Garden:

Aber Baum-Geist Nr. 1 finden wir natürlich. Schon weithin sichtbar ist ein durchsichtiges Fleece mit der Zeichnung zu sehen und eine kleine Texttafel dazu. Hier nun mal alle 7 Bäume als Zeichnung und ein Foto von heute.

Ich bin fasziniert von diesem Projekt. Man schaut sich dadurch nicht nur die alten Bäume genauer an, vergleicht und fantasiert, betastet die Rinde und kommt den alten „Geistern“ näher, man bewegt sich auch über das große Anwesen und lernt es aus verschiedenen Blickwinkel kennen. Und das Beste ist, man sieht noch viiiiel mehr von diesem Baumgeistern, die einem sicher sonst gar nicht untergekommen wären, weil sie versteckt auf dem großen Gelände verteilt sind. Da ist z.B. die wunderschöne Chestnut-Allee aus dem 16.Jahrhundert. Das sind alles Esskastanien, die ab 1580 gepflanzt worden sind.

Und in einem anderen Teil des Parks stehen.. oder liegen … dann noch diese Bäume hier:

Ihr merkt, ich bin begeistert. Stundenlang laufen wir durch dieses Paradies und ich genieße den Anblick dieser Riesen. Wenn wir in 400 Jahren mal nicht mehr sind, dann gibt es keine solche Wahnsinnsbäume, die wir hinterlassen haben. In meinem Garten z.B. dürfte und könnte ich diese Riesen überhaupt nicht pflanzen. Mehr als 3,50 m ist nicht erlaubt, glaube ich… Aber alte, herrschaftliche Anwesen in Großbritanien, die haben das noch und zum Glück dürfen heute alle an der ganzen Pracht Anteil haben. Trotzdem erstaunt es mich immer wieder, wieviel Geld die Besitzer von damals in die Gestaltung ihrer Gärten gesteckt haben. Und auch heute sind im Park viele Menschen beschäftigt. Nur für die gärtnerischen Dinge habe ich allein 20 gesehen, dazu kommen die im Cafe und im Castle. Viele sind hier als Ehrenamtliche beschäftigt, aber gerade die Gartenarbeit machen sicher Profis. Also 100 Euro im Jahr für den National Trust, das ist gut verwendetes Geld, wenn dafür solche Naturschätze erhalten werden.

Und nur, damit kein falscher Eindruck entsteht: es gibt dort auch noch ziemlich gesunde Bäume:

Geschafft und glücklich kommen wir nach einer Cream-Tea-Stärkung am Womo an und es stellt sich schon wieder die Frage: Wohin als nächstes? Ich entscheide mich für Great Malvern. das ist auf dem Weg nach Worcester – da möchte ich mir die Kathedrale noch anschauen – und auch auf dem Weg zu Shakespeares Geburtshaus. Und vor zwei solchen kulturellen Highlights brauchen wir morgen Bewegung. Great Malvern liegt an den Malvern Hills, einer Hügelkette mit der höchsten Erhebung von 485 Metern, auf deren Kamm man wunderbar entlang wandern kann – wenn man erst mal oben ist. Bei gutem Wetter bietet diese Erhebung einen fantastischen Blick ins Umland und das wäre doch was.

Common bedeutet Gemeinschaft und mit einem Common Hill hatte ich in diesem Jahr schon einmal Glück. Und so peile ich Malvern Common an, denn die einschlägigen Wanderparkplätze schließen um 23:00 Uhr ihre Tore – so meint jedenfalls Google. Und die Wahl ist perfekt. Eine große Wiese mit kleinem wilden Parkplatz am Fuße der Malvern Hills und unweit der Stadt ist perfekt. Ich kann sogar schon von hier aus ein bisschen die Aussicht genießen und Luna freut sich über die vielen Hunde, die mit ihren Besitzern ihre Runden drehen. Als ich mir ein Abendmahl koche, bekomme ich sogar noch einen Tipp: Wenn ich W bräuchte, gäbe es nicht weit von hier eine Quelle – ganz klar und frisch aus dem Berg, dass könne man nur empfehlen – es folgt ziemlich verwirrende Wegbeschreibung, aber nett ist das trotzdem.

Also nun mal Liegestuhl raus, Beine hoch, Wetter genießen und ab und zu ein Schwatz – das ist super und keiner hat was dagegen, dass die Deutsche mit ihrem Hund hier einfach übernachtet. Na dann: Kommt gut durch die Nacht.

3 Gedanken zu „Geisterbäume“

  1. Das war ja ein wunderbarer Tag, liebe Marion, diese Geisterbäume ! Ganz toll die Bilder und daneben deine Fotos! Ich hätte gerne mitgesucht, einfach Wahnsinn! Was die Natur so bietet und in diesen Mengen! Ich zeige Freunden immer schon voll Stolz 2 riesige, umgekippte Baumstämme in der Nähe von Bon Repos! Sie wirken auf mich auch so geisterhaft!
    Und ihr hattet Sonne und die wünsche ich euch auch heute! Hier strahlt sie schon!
    Passt auf euch auf, deine Bretagnemamie

  2. Phantastisch, diese Bäume. Am schönsten fand ich die Gegenüberstellung
    von gemaltem Bild und deinem tagesaktuellen Foto. Sehr berührend, diese Wertschätzung der Natur, des Alterns und Sterbens… Das findet man heute nicht mehr allzu oft. Danke einmalmehr, meine liebe Marion, für diese wunderbaren Impressionen! Sei lieb gegrüßt…

    1. Das Projekt hat mich auch sehr fasziniert, nur die Gedichte waren für mich zu schwer, schwierig zu übersetzen- das gibt dem Ganzen noch eine weitere Ebene. Aber auch so hat es sehr viel Freude gemacht, die Geister zu besuchen 😉

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