Der Waliser an sich vermeidet Blickkontakt. Nur im letzten Moment des Vorübergehens wirft er vorsichtig, aus dem Augenwinkel sozusagen einen kurzen prüfenden Blick auf die Situation. Wenn du diese Millisekunde erwischst, um Hello! zu sagen, könnte es passieren und er grüßt zurück. Der Engländer ruft dir schon 20 Meter vor der Begegnung entgegen: „What a beautyful day, isn`t it?“ Er strahlt dabei übers ganze Gesicht und wünscht dir noch einen tollen Tag und „Take care!“ und „Nice to meet you!“ sind ja sowieso Standard.

Vielleicht ist das ein bisschen so wie mit den Leuten aus Meckpom. Die tauen auch erst nach einer Weile auf, aber die Weile hab ich leider nicht. Und so sitze ich vor meinem Womo, schau auf die schöne Bucht bei Kaffee und Müsli und beobachte den gemeinen Waliser beim aus den Augenwinkel schauen. Viele führen ihre Hunde aus und Wiese, Strand, die Umgebung an und für sich sind sehr geeignet. Und da sitzt diese Deutsche an ihrem Womo und trinkt Kaffee. Ob sie es gut finden?? Keine Ahnung, das wissen sie wahrscheinlich selbst nicht so genau.

Es ist schon nach 10:00 Uhr, denn heute durfte Luna mal ausschlafen. Ich glaube die Reise stresst sie nun in ihrem „fortgeschrittenen Alter“ doch mehr als früher und so liegt sie hier in unserer ruhigen Sackgasse fast 4 Stunden länger als gewöhnlich eingekuschelt neben mir, während ich schon fleißig meine Dylan Thomas Lektüre schmökere.
Hay-on-Wye hätte ich doch fast vergessen, den Punkt in meiner Google-Maps-Karte beinah übersehen, doch da wollte ich doch unbedingt hin. Das erste Bücherdorf Europas. In Norwegen hatte ich auch schon eins besucht, doch das hier kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Just in dem Moment schickt mir meine liebe Marietheres einen Hinweis, sie hatte einen Artikel darüber gelesen.

Die Küste reicht mir auch fürs erste, also ab ins Bücherdorf. Auf dem Weg machen wir einen Zwischenstopp am Landgut Llanerchaeron vom NT. Hier kann man ein ehemaliges Gut besuchen, von dem mir vor allem der Garten wieder sehr gut gefällt. Lauschige Plätze laden zum Picknick ein, viele Kräuterbeete beinhalten verschiedenste einige Wildpflanzen, alte Obstsorten werden angebaut und die Rabatten… ja die Rabatten.




Viele Jahre lang hielt dieses Gut einen Dornröschenschlaf, überwucherte und verfiel zum Teil. So konnte aber auch kein Farmer die günstigen Wellblechdächer oder moderne Hallen erbauen, die moderne Landwirtschaft hielt also niemals Einzug. Alles blieb so, wie es war und im Jahre 1989 übernahm der National Trust. So kann man hier auch noch die alten Wirtschaftsgebäude sehen, in denen sogar ein paar Tiere leben.


Neben dem Garten gibt es noch einen wunderschönen See und weitläufige Ländereien. An einem kleinen Stand liegen für die kleinen Besucher Minifahrräder und Helme bereit, mit denen sie den See spielend umrunden.


Wir setzen unseren Spaziergang am Flüsschen Aeron fort. Hier versucht gerade ein Typ und lautem Gelächter der Anwesenden, Hunden das Surfen beizubringen.

Auch zu dem kleinen Gewässer gibt es `ne Dylan Thomas Story zu erzählen. Er nannte nämlich seine Tochter Aeronwy nach ihm, denn bevor das Boathouse Familiensitz wurde, lebte die Familie hier ganz in der Nähe bei Freunden und laut Caitlin – Dylans Frau – soll Aeronwy an den Ufern des Flusses Aeron gezeugt worden sein. Aer heißt übrigens Schlacht und ist der Name des Walisischen Kriegsgottes.


Wir laufen lieber ein bisschen weiter und ich sammle Lindenblüten und Weidenrösschen. Die werden dann im Womo wieder gut getrocknet.

1,5 Stunden dauert die Fahrt nach Hay-on-Wye und mehr als die Hälfte der Strecke besteht ausschließlich aus Kurven. Ich nehm mir Zeit, fahr langsam und lass aller 30 Minuten die Schlange vorbei, die sich dann hinter mir bildet. Außerdem regnets sowieso gerade fürchterlich und so wird das arme Lunchen nicht ständig hin und her geschüttelt.

In Hay platzieren wir uns unter Bäumen am riesigen aber leeren örtlichen Parkplatz, machen einen ersten Bummel durch die Stadt, haben beide zu nichts mehr Lust, ich auch nicht zum Schreiben und verschwinden dann im Bett.

Gleich hinter uns eröffnen sich große herrliche Wiesn und da sind wir am Morgen auch nicht allein unterwegs. So ist Lunchen einmal durchbewegt und ich kann gemütlich meiner Leidenschaft frönen: Buchläden. Zum Glück ist hier der größte Teil in Englisch und das kann ich ja nicht ganz so flüssig, dass es Spaß machen würde ein Buch zu lesen. Also wieder mal viel Geld gespart!!!

Doch Hay hat eine spannende Story zu bieten. Der Brite Richard Booth eröffnete in dieser Kleinstadt, die an der Grenze zwischen England und Wales liegt, 1962 den erste Buchladen im alten Feuerwehrhaus und bald darauf noch einen im alten Kino. Er kaufte Bestände aufgelöster Bibliotheken und begann damit zu handeln. Langsam kam der alte Markflecken zu Bekanntheit und Richard hatte eine neue Idee. 1977 proklamierte er das „Unabhängige Königreich von Hay“, sich selbst zum König und sein Pferd wurde Premierminister. Außerdem gab er Reisepässe heraus, entwickelte essbares Geld aus Reispapier und erklärte dass sein Königreich aus der EU austreten würde. Außerdem wurde ein Literaturfestival ins Leben gerufen, was bis heute ein zehntägiges Event ist, zu dem sehr viele Gäste anreisen und alle Hotels schon lange Zeit vorher ausgebucht sind. Richard Booth zog sich aus dem aktiven Geschäft langsam zurück, verkaufte seine „Residenz“ Hay-Castle für 2 Mio. Pfund und starb 2019. Eine kleine Gedenktafel erinnert aber noch an ihn. Das Buch als solches sitzt in Hay-on-Wye aber bis heute immer noch auf dem Thron, was gleich mit eigenen Augen erleben werde.

Erst um 10:00 machen die meisten Buchläden auf und nur wenige Menschen sind „so früh“ schon unterwegs. Im Schlosshof steht ein Bücherregal des Vertrauens und ich habe sehr schnell meinen Lieblingsbuchladen gefunden.


Besser gesagt zwei – einen von außen und einen von innen. Das kleine hübsche Fachwerkhaus ist doch zuckersüß oder?

Und der Buchladen hier ist erstens riesig und zweitens vereint er sogar zwei meiner Lieblingshobbies: lesen und stricken – schaut mal das links: Ein WOLLEREGAAAAAL!!!

Neben Büchern gibt es imm Ort auch noch Antiquitäten en masse und der riesige Cinema-Bookstore lagert über 200.000 Bücher. Da kommt man nur mit Lageplan aus.








Natürlich gehe ich auch nicht ohne Buch wieder zurück: Diese wunderschöne Kinderbuch-Ausgabe von Dylan Thomas „Unter dem Milchwald“ hat es mir angetan. Vielleicht verstehe auch ich dann auch mal, was er so mit seinen Texten bezweckt 😉

Das Wetter macht mit, also ist jetzt wandern angesagt. Ich habe mich für den 10km Rundweg über den Waun Fach entschieden. Der Aufstieg erfolgt über den Dragons Back, also Drachenrücken und geht erst einmal 550 Höhenmeter schnurgerade bergauf. Damit hatten meine Oberschenkel nicht gerechnet. Puuh

Von hier oben hat man einen fantastischen Ausblick in den Brecon Beacons. Alle Farben Grün stückeln sich hier wir ein großen Patchworkteppich zusammen, ab und zu betupft von weißen Punkten – den Schafen oder bräunlichen – den Ponys.



Ja die Schafe, die machen es mir schon schwer. Lunchen ist völlig aus dem Häuschen, zieht und zerrt, sobald sich eines bewegt. Stehen die friedlich rum und grasen – alles kein Problem. Aber sobald die losflitzen will meine Hundedame ihren Job machen. Shepherd halt– Da hilft nur eins: kurze Leine und „Fuß“. An Freilauf ist hier absolut nicht zu denken. Schade.


Ganz oben angekommen hat es sich leider komplett zugezogen und vom versprochenen 360-Grad-Blick ist leider nichts zu sehen.

Doch beim Abstieg meint es der Wettergott wieder gut mit uns und schickt uns als Entschädigung noch ein paar richtig neugierige Ponys vorbei.


Der Abstieg ist schnell geschafft und auf dem letzten Drittel treffen wir noch ein ungleiches Pärchen. Sie sehr jung aus China, er ziemlich alt aus UK. Und die laufen so gegen 17:00 Uhr Hand in Hand den Berg hoch. Herrlich 😀 Für einen Schwatz ist immer Zeit und für ihr Reisetagebuch gibts auch noch ein Foto.

Ich hab keine Lust mehr auf Stellplatzsuche, denn ich kenne doch einen. Also kehren wir nochmal in Hay-on-Wye ein und wer steht das schon? Meine Bekannten vom Kalte-Dusche-Zeltplatz. Das ist ein „Hallo!“ und wir tauschen noch unsere Erlebnisse und Geheimtipps aus, bevor der Regen beginnt. Also rein in den gemütlichen Camper und nach einem Abendmahl bei herrlichem Tröpfeln auf dem Dach den neuesten Blogartikel verfasst.
Kommt gut durch die Nacht !!!
Ach, ihr Lieben, hier regnet es auch fast täglich. Ein sehr merkwürdiger Sommer…
Diese Ponys sind wirklich süß. Erinnern mich an die Islandpferde im letzten Jahr.
Ich bin schon sehr gespannt auf deine englische Kräuter-Blüten-Sammlung. Fühlt euch lieb gedrückt!