Finale

Wir wandern in den Denbies Hills, gleich hinterm Parkplatz geht es los, aber der Regen trübt die Wanderfreude, zumindest meine ein wenig. Im geschützten Wald mag es noch okay sein, aber eine Tagestour wird das heute nicht. Gern hätte ich mir nun noch Darwins Wohnhaus ganz in der Nähe angeschaut, aber da macht uns die Abgasplakette einen Strich durch die Rechnung. Darwin wohnte ein paar Meilen innerhalb der Emmissonszone, die für den Dicken tabu ist. Eigentlich auch kein Problem, wir sind nach fast 5 Wochen auch schon ganz schön vollgestopft mit neuen Eindrücken. Luna nimmt jede Gelegenheit, die sie zum Schlafen kriegen kann, sofort wahr und auch ich bin heute ein wenig platt. Deshalb klinken wir uns am Reigate Hill Wanderparkplatz gleich neben der M 25 – dem Ring um London – ein. Dort ist es erst einmal sehr schön und man kann über die Surrey Hills schauen, es gibt einen kleinen Kiosk mit WC und wir faulenzen in einer Ecke des Platzes, schlafen, stricken, lesen und beobachten Leute. Dann wird das Wetter besser und wir drehen noch eine Runde, aber ansonsten passiert heute nicht viel.

Aussicht mit Erklärung

Canterbury, eins meiner letzten Ziele ist auf dem Schild ganz links unten mit 59 Meilen angegeben und als Google Maps Stauentwarnung auf der M25 anzeigt, düsen wir gegen 19:00 Uhr los. Einen Parkplatz mitten im Zentrum brauche ich, denn ich möchte die Kathedrale besichtigen. Das ist nun neben Clocester und Worchester die dritte im Bunde.

Das mit dem Parkplatz funktioniert prima, denn der ist extra für Womos. 12 Stunden kosten zwar 14 Pfund – ganz schön happig, aber da ich ja nur einmal auf dem Campingplatz war, ist mir das dann auch egal, Hauptsache die Logistik stimmt.

Nicht schön aber nur 6 Minuten bis zur Kathedrale

Die Kirche liegt bei unserer Ankunft im schönsten Abendlicht, dass leider etwas nachlässt, als wir näher kommen. Unterwegs laufen wir am Great Stour, dem kleinen Flüsschen, das durch die Stadt fließt entlang. Ein paar Leute stehen da und starren aufs Wasser. Biber, sagen sie und zeigen auf einen Holzhaufen… ich seh nix…

Was sofort auffällt, sind die vielen jungen Leute, die im akademischen Talar mit der typischen Kappe oder besonders festlicher Bekleidung herumlaufen. Gefühlt 80% der jungen Menschen sind schwarzer Hautfarbe und die Festkleidung dieser Familien ist der Hammer, da kann man gar nicht wegschauen. Farben, Formen, die Frisuren, das Makeup… wunderschön. Der Stolz ist aber allen Müttern und Vätern ins Gesicht geschrieben.

Nun aber erst einmal schnell ins Womo, denn morgen früh um 09:00 Uhr stehe ich am Ticketschalter – ich würde auch diese Kirche wenigstens ein Weilchen erst einmal „für mich“ haben.

Gleich neben dem Parkplatz steht eine Filiale von Salisbury und ich kann frische Brötchen und einen echten Starbucks-Cappuccino holen. Da geht das Frühstück schnell, kleine Gassirunde und dann los. 17,- Pfund kostet das Ticket, aber die Kassiererin sagt gleich dazu: Einige Teile der Kirche sind wegen der Graduation für Touristen gesperrt. Okay, ich dachte die wäre gestern gewesen. Weit gefehlt… das geht hier die ganze Woche 3xtäglich. Die Universität von Kent hat augenscheinlich ne Menge Studenten und bei Youtube findet man die kompletten Graduationsfeiern von jeweils mehr als 2 Stunden.

Das wäre dann mal eine von den 10 Schlangen diese Woche

Von wegen Kathedrale für mich allein. Erstens muss ich gaaaanz hinten rum – haupteingang ist für mich tabu und in der Schlange vorn stehen ja nur Eltern und Freunde. Die Graduierten selbst finde ich im Kreuzgang des Klosters.

Na ja, dann versuche ich trotzdem mal mein Glück mit ein paar Fotos, aber wenn da keine Studenten sind, versaut eine Hebebühne das Bild.

Fast allein bin ich allerdings in der Krypta., das ist der „Keller“ unter der Kathedrale. Hier kann man die ältesten teile aus der zeit der Romanik bewundern. Wenn oben der Kirchenbau mal abbrannte, was mehrfach geschah, blieb dieser teil doch im Wesentlichen erhalten.

Mich beeindrucken vor allem die wunderschön verzierten Säulen und Kapitelle. Bei einer Führung, für die ich mich danach angemeldet habe, erfahre ich, dass dies alles einmal bunt angemalt, gar vergoldet war. Einen kleinen Rest kann man in der St. Gabriel Kapelle noch sehen. Hier wurde im 15.Jhd. eine Mauer zur Stütze der Oberkirche eingezogen und die dahinterliegenden Wandbemalungen blieben erhalten.

Nun gehts die durchgetretenen Stufen hinauf zur Hauptkirche. Ich komme im Chorraum an und darf das Langhaus und die Vierung nicht betreten. Das ist ärgerlich, denn gerade die wunderschöne Decke unter dem über 70m hohen Vierungsturm wollte ich unbedingt sehen. Aber so ist das nun mit den Graduierungs-Feierlichkeiten und gerade setzt donnernd die Orgel ein, denn die neue Feierrunde hat begonnen.

Die Kathedrale von Canterbury ist eigentlich eine Art Anfängerkurs im Bergsteigen. Betritt man das Langhaus durch den Haupteingang ist man auf der unteren Ebene, die ersten Stufen erklimmt man hinauf zur wunderschönen Chorschranke

Die nächsten Treppen führen zum Altar und dahinter geht es wieder hoch zu einem freien Platz mit Kerze und der hat eine ganz besondere Bedeutung, die auch für den besonderen Ruf der Kathedrale verantwortlich ist. Wir befinden uns nämlich an einem Schauplatz von Mord und Totschlag. Das Opfer: Thomas Becket, seines Zeichens Erzbischof. Der war vor seiner zeit in diesem Job recht gut befreundet gewesen mit dem damaligen Herrscher heinrich dem II. Allerdings änderte sich das schnell als er in Amt und Würden war. Ob ihm nun der Ruhm zu Kopf oder sein Charakter der Auslöser gewesen war, Heinrichs Begeisterung für den Gottesmann ließ alsbald nach und so musste Becket 1164 ins Exil nach Frankreich fliehen. Dort hielt er es nur 6 Jahre aus und kam wieder zurück, was den König zu dem Wunsch verleitete, man möge ihm diesen Unruhestifter vom Halse schaffen. Das nahmen ein paar Ritter seines Gefolges für bare Münze und meuchelten unseren Becket hier in der Kathedrale am 29.12.1170. Soweit so schrecklich, aber man hatte wohl nicht mit den Folgen gerechnet. Obwohl der König als Büßer barfuß durch die Stadt marschierte und von den Menschen beworfen werden durfte, entwickelte sich die Kathedrale, in der man Becket begraben hatte zur Wallfahrtsstätte. menschen pilgerten an sein Grab, berichteten von Wundern und drei Jahre später wurde postum vom Papst heilig gesprochen und Canterbury wurde zum größten Wallfahrtsort des späten Mittelalters. Und so baute man für die Gebeine des Heiligen hier an diese Stelle – dort wo heute die Kerze steht – einen riesigen kostbaren Schrein.

Der stand da auch eine ganze Weile bis… ihr ahnt es schon … Heinrich der VIII. Geld brauchte. So wanderten all die wertvollen Edelmetalle und -steine des Schreins, denn kostbar war der wegen der vielen Pilger unbedingt – in die Schatulle des nächsten heinrich und heute ist da nur noch diese Kerze.

Ein weiteres Highlight der Kirche sind die Fenster, von denen viele noch aus dem 12.Jahrhundert stammen. Wie das immer geht, ist mir ein Rätsel. Glas!!! 800 Jahre!!!

Manche haben es aber auch nicht geschafft, weil sie z.B. den II. Weltkrieg nicht überstanden und so gibt es in der Kathedrale auch Fenster neueren Datums. Der ungarisch-britische Künstler Ervin Bossanyi fertigte z.B. 4 Fenster, die 1960 eingebaut wurden.

Mit fantastischen Farben überstrahlen sie die Wand und werden von manchen Betrachtern auch liebevoll „Disneyfenster“ genannt. Naja, gerade die Gesichter des Paares mit dem Kind erinnen schon ein bisschen an die Hollywoodtrickfilme – ist eben auch ein zeitgenössischer Stil 😉

Erst bin ich den Weg allein gegangen und 10:30 Uhr beginnt dann meine für 3 Pfund gebuchte Führung, bei der mir alles noch einmal erklärt wird, denn wir sind nur zwei Gäste und eine Führerin – das ist fast 1:1-Betreuung. So erklärt uns die Frau auch, das am gebäude ständig Bauarbeiten stattfinden und die Arbeiter ein paar Wasserspeier, die sie bald oben verbauen werden unten neben dem Weg präsentieren… und da ist er ja unser Biber.

Und einen wichtigen Tipp bekomme ich noch: Abends 17:30 findet der Evening-Song in der Kathedrale statt. Das soll sehr schön sein und da kann man auch noch einmal in die anderen Teile der Kirche einen Blick erhaschen. Gute Idee, aber erst bummeln wir noch eine Runde durch die Stadt – Luna freut sich.

Die Kathedrale ist natürlich überall zu sehen.

Aber auch am Flüsschen gefällt es uns sehr gut: Lunchen hat viel zu schnuppern und kann baden und ich entspanne mich hervorragend im alten Franziskanergarten.

Und dann gehe ich noch zum Evening Song, das ist wunderschön. Der Organist stimmt alle mit einer meditativen Musik ein, dann kommt der Canterbury-Choir, ein gemischter Chor und mit einem steinalten, aber hochmusikalischen Dirigenten – wunderbar. Wie schon in Windsor erlebe ich diese anglikanischen Gottesdienste immer ein bisschen wie ein Theaterstück, mit all ihren Regeln, aber ich freue mich, denn dieser Moment kommt gerade an der richtigen Stelle. Ich bin am Ende meiner reise angelangt, dankbar und froh über alles Erlebte, jede Begegnung und jedes Glück. Da ist eine kleine Auszeit, eine Stunde des Innehaltens und der Besinnung doch ein fantastischer Abschluss. Und das genieße ich neben der himmlischen Musik und der grandiosen Umgebung. Und natürlich bekomme ich die Chance auf meine erhofften Fotos. Nun schaut doch mal welche Pracht:

Die Stühle sind Teil der Graduations-Feiern und als ich rauskomme, steht schon die nächste Schlange für die Feier 19:30 Uhr.

Und das nächste Geschenk lässt nicht lange auf sich warten. Die letzten zwei Tage möchte ich gern am Wasser verbringen und hatte gehofft, am Reculver Tower einen guten Stellplatz zu finden. 17km vom Stadtzentrum Canterbury entfernt – ein Katzensprung also und wir sind da… perfekt!

So, ihr Lieben, der Rest ist Fahren, das werd ich euch ersparen und würde sehr seelig sein, wenn ich es mir auch ersparen könnte, aber den Wunsch wird mir wohl mein Heiliger Thomas Becket auch nicht erfüllen können. Morgen verbringen wir hier mit schlafen, wandern und faulenzen und am Donnerstag gehts zurück in die Heimat. Schön, dass ihr mit dabei wart, danke an alle Lieben, die mir ein Feedback gesendet haben, worüber ich mich immer dolle freue und bis zum nächsten Mal ganz herzliche Grüße von Luna, dem Dicken und mir. Bis bald.

8 Gedanken zu „Finale“

  1. Gabriele Eberhardt

    Guten Morgen meine liebe Marion.
    Mit ganz viel Freude und voller Spannung VERFOLGTE ich deine zauberhafte Reise. Es ist ganz wunderbar, welch unglaublich schöne und beeindruckende Erlebnisse du hattest.
    DANKESCHÖN, daß ich dich VERFOLGEN und daran teilnehmen durfte. Ich wünsche dir noch einen erholsamen und wunderbaren Tag und eine GUTE FAHRT 🍀🍀🍀nach Haue … 🥰
    Liebe Grüße Gabi 🫠

    1. Danke meine liebste VERFOLGERIN, ich freu mich sehr, dass du wieder Freude dran hattest und nehm dich gerne beim nächsten Mal wieder mit 😘😘😘

  2. Bonjour, meine liebe Marion, zum Ende deiner erlebnisreichen Reise führst du uns noch durch Canterbury, danke!
    Die Kathedrale, ein Wahnsinnsbau, wie hat man dieses Kunstwerk vor soviel hunderten von Jahren so prachtvoll fertiggestellt? Die Höhe, die Ornamente, die Glasfenstet,
    unbeschreiblich!
    Und dann erlebst du noch Graduierungsfeierlichkeiten und abends ein „Abschiedskonzert „ vom Canterbury Choir, kann‘s schöner sein?
    Nun erholt euch noch gut am Meer, leider geht‘s ja nicht Richtung Roscoff😥😥!
    Ihr hattet 5 Wochen voller Ideen, Erkundungen und Freude, alles verlief bis jetzt gut, voller Erinnerungen trittst du die Heimfahrt an, pass gut auf euch auf! Danke, dass du mir so wunderschöne Orte und Landschaften in Wales und UK vorgestellt hast, danke für deine Berichte.
    Ich drücke dich, knuddel Lunchen und kommt gesund daheim an, auch der problemlose Dicke muss gestreichelt werden, au revoir, deine Bretagnemamie

  3. Liebe Marion, ich wünsche dir eine gute Heimreise, ohne Stau oder besondere Vorkommnisse. Ich hatte auch dieses Jahr wieder sehr viel Freude beim Lesen deiner Reiseberichte und an den sagenhaften Fotos. Vielen lieben Dank dafür. 😊 Liebe Grüße Kordula

    1. Schön, dass es dir wieder gefallen hat 😊 Liebe Grüße und auch viel Freude bei allen Reisen, die ihr gerade so plant ♥️♥️♥️

  4. Es war wie immer wunderbar zu lesen, schön “ dabei “ gewesen zu sein .
    Ich wünsche euch eine gute Heimreise
    Liebe Grüße aus der Heimat

  5. Liebste Marion, eine wunderbare Reise geht zu Ende und es war phantastisch, dich und Lunchen ein wenig begleiten zu können. Danke für die schönen Impressionen und detaillierten Berichte. Das war auch für mich eine besondere Ferien- Lektüre… Ich hoffe, dass ihr eine gute Heimreise habt, bin in Gedanken ganz sehr bei euch und freue mich extrem auf ein Wiedersehen! Dicken Drücker….

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