Wheelchair

Der Tag beginnt ruhig. Wir laufen durch den Park gleich hinterm WOMO, nur ein paar Jogger und Ruderer sind schon unterwegs und der rote Backsteinbau der Royal Shakespeare Company leuchtet in der Morgensonne.

Viele Shakespeare-Denkmäler gibt es in der Stadt und an einem kommen auf der Morgenrunde vorbei. Lust auf ein Rätsel? Neben dem großen Poeten sind nämlich auch 4 seiner Hauptfiguren abgebildet.

Die Auflösung gibts am Ende und viel Spaß beim Raten. Übrigens wusste ich Nr.4 absolut nicht. Die Straßen sind zwar noch einigermaßen leer, aber man spürt schon, welche Temperaturen uns heute erwarten und Luna hat nach 20 Min. keine Lust mehr auf Stadtbummel. Deshalb darf sie sich heute im Schatten eine Womo-Auszeit nehmen und ich mach einen Shakespeare-Tag. Beginnen wir mit seinem Geburtshaus:

Hier wurde der Barde als Sohn eines Handschuhmachers geboren. Außen ist die Devise: Nur gucken – nicht anfassen! und ein Zaun schützt die historischen Gemäuer vor all zu neugierigen Fingern.

Durch ein neugebautes Infozentrum betrete ich gemeinsam mit einer Schulklasse die heiligen Hallen und merke, dass hier die kids in dem Alter meiner Schüler auch nicht sooo brennend daran interessiert sind, was alte, verstorbene Dichter gemacht haben.

Wer war er wirklich? Das ist hier die Frage.

Innen darf alles angefasst werden, denn es handelt sich hauptsächlich um Repliken. Vom Gästebett, über das Geburtszimmer, bis zur Werkstatt des Vaters und dem Esszimmer, fast nichts ist hier Original, nur die Mauern und der Steinfußboden im ersten Bild.

Besonders witzig finde ich das echte Fenster des Geburtsraumes, das heute ausgebaut an einer anderen Stelle präsentiert wird. Da haben sich über Jahrzehnte hinweg Fans des Autors verewigt und ich muss gleich an die Toilette im „Elephant House“ in Edinburg denken, auf der unzählige Harry Potter-Fans ihre Nachrichten hinterlassen haben, weil hier J.K. Rowling an dem ersten Teil geschrieben hat.

Freundliche Guides beantworten alle Fragen und zeigen den Weg, der noch durch den Garten führt, in dem sich irgendwie gleich aussehende Minirock-Mädchen gegenseitig ablichten und dann im Souvenir-Laden endet. Vor dem Haus ist lustigerweise eine Tischtennisplatte aufgebaut, an der eine deutsche Familie ihren Spaß hat und ein paar Meter weiter steht der nächste Bronzeabguss „Seiner Majestät“.

Ich gönne mir einen Kaffee im benachbarten Freisitz und so langsam füllen sich die Straßen. Als ich weiterlaufe, sieht es dann schon so aus:

Als der Shakespeare schon bekannt und wohlhabend war, kaufte er sich und seiner Familie ein neues Haus, „New Place“ genannt. Es war eins der größten Häuser der Stadt und kostete 120 Pfund, das waren damals sechs Jahreseinkommen eines Lehrers.

Leider ist vom Haus nichts mehr vorhanden, denn einer der nachfolgenden Besitzer, Francis Castrel, ließ es abreißen.Der Grund war nicht etwa, dass es unmodern, unbewohnbar oder unzeitgemäß war. Nein, Castrel ging es einfach auf die Nerven mit all den Shakespeare-Fans leben zu müssen, die täglich zu seinem Haus kamen. 2016 wurde das Areal dann gründlich untersucht und mit einem modernen Konzept versehen.

©Bild: Shakespeare-Trust

Ich betrete das Areal durch Tor und stehe im Garten. Auf dem Boden ist der Grundriss nachgezeichnet, kleine bunte Schildchen für jedes seiner Stücke, die hier entstanden sind stecken in den Blumenbeeten und eine junge Frau empfängt uns unterm Sonnenschirm mit einem kleinen Vortrag.

Besonders sind auch die wunderschönen Plastiken, die im Garten verteilt sind und einen Bezug zum Autor und seinem Werk haben – welchen? Ich konnte es nicht herausfinden… und habe mir bei der Hitze einfach einen Schattenplatz gesucht. Vielleicht habt ihr ja eine Idee? Der sturmgebeugte Bronzebaum mit der Weltkugel steht wohl an der Stelle, an dem Shakespeares Arbeitsplatz war….

Ich bummle zurück und wünsche mir nur ein kaltes Getränk, Schatten, eine leichte Brise und eine Pause. Erstaunlicherweise sieht das Luna genauso und macht einfach nochmal mit.

Es ist kurz vor vier, als wir noch einmal zu einer kleinen Gassirunde aufbrechen. Da entdecke ich eine kleine „Kurbel-Fähre“, mit der man für ein Pfund von einem freundlichen Fährmann hinüber ans andere Ufer des Avon gebracht wird. Lustig! Das probieren wir. Der Fährmann muss aufpassen , denn gerade findet eine kleine Wasserschlacht auf dem Fluss statt.

Dann steigen wir mit 6 anderen Passagieren ein und schwupp gehts hinüber zur Theaterseite.Luna ist das Geschaukel zwar nicht ganz geheuer, aber zwischen meinen Knien ist sie sicher.

Einen Theaterbau gibt es in Stratford schon seit 1879. Mehrere Um- und Anbauten haben daraus einen Komplex mit zwei Theatern, mehreren Cafes, Infozentren und zuletzt auch noch einem Aussichtsturm gemacht. Als wir vorbeigehen, gibt es sogar noch eine Open-Air-Bühne und da wird gerade geprobt. Der Zettel verrät, es findet heute eine Aufführung von „Wie es euch gefällt“ statt und da scheint viel Musik dabei zu sein – so hört es sich jedenfalls an.

Ich frage einen jungen Mann von der Crew, ob es noch Karten gibt und er meint: Wenn, dann im Netz… aber ich könne in der Ticket-Office nochmal fragen. Nein, meint die freundliche Dame, heute sei alles ausverkauft. Die ersten Besucher haben sich schon angestellt, ein Blick zur Uhr, in 35 Min. geht es los. Und dann riskiere ich schnell noch einen Internetcheck und da steht: 1 Ticket available… großartig, … jetzt noch registrieren,… Name eingeben, …. komm Luna, du musst jetzt nochmal kurz zum Womo, Pause machen, … Adresse, nein ich bin kein Roboter, Passwort, AGB, 16 Pfund, okay, Kreditkarte, ach Lunchen, jetzt wird nicht geschnuppert…die Sonne ist immer noch heiß, jep, hat geklappt, so Lunchen, hier ist noch Wasser, Dachfenster auf… genau und jetzt schön Paaause…

15 Minuten später stehe ich, völlig verschwitzt aber glücklich mit meinem Handyticket am Eingang und suche in der Mail nach einer Reihe oder Platznummer. Nix… hä… oh, da steht ein Wort, da muss ich kurz überlegen: Wheelchair.. Rollstuhl??? Oh, da hab ich wohl in der ganzen Hektik übersehen, dass der letzte freie Platz für Rollstuhlfahrer war. Die Einlassfrau lacht nur, eine zweite kommt hinzu und zwinkert verschmitzt: „Good Idea!“ Das Problem ist nur: Es gibt an dieser Stelle keinen Stuhl, denn den hätte ich ja normalerweise dabei. Aber die Platzanweiserin ist cool und zeigt mir einen Platz in der 2.Reihe rechts, der ist frei, perfekt und los gehts:

Auf türkisblauer Bühne wird komplett ohne Bühnenbild, aber mit sehr viel Spielfreude „As you like it“ dargeboten. Leider werden meine Fotoversuche nicht so gern gesehen, aber ein paar Schnappschüsse sind mir doch gelungen. Das einzige Problem… und ich hätte vor wenigen Tagen nicht gedacht, dass ich das in Kürze ein Problem nennen würde … ist die Sonne. Sie ist auch nach 17:00 noch unerbittlich und immer wieder werden Besucher hinausgebracht, die sich der Hitze ergeben müssen. Auch eine der beiden Damen neben mir gibt vor dem Ende auf. Ich habe zum Glück noch einen Flyer der Worcester Kathedrale einstecken, der gut als Sonnenschutz taugt.

Beflügelt komme ich am Womo an und Luna gähnt und streckt sich mir entgegen. Nun gibt es noch eine Abend-Bade-Runde im River Avon und dann ziehen wir uns hinter die Hecke mit Blick zum Theater zurück.

So geht wieder ein wunderschöner Tag zu Ende und ich bin dankbar und glücklich über alles, was ich täglich erleben darf und was sich auch manchmal auf so wunderbare Weise einfach ergibt.

Kommt gut durch die Nacht

Achso: die Lösung:

1 Fallstaff

2 Lady Macbeth

3. Hamlet

4. Heinrich IV

3 Gedanken zu „Wheelchair“

  1. Wieder ein herrlicher, historischer Tag, liebe Marion, und das alles bei HITZE, man muss es groß schreiben, weil es wirklich bemerkenswert war! Hier haben wir auch gestöhnt, heute hat es sich abgekühlt und leichter Regen! Es wird in Wales nicht anders aussehen.
    Was bietet Stratford alles, toll, alles so exakt vor- und nachgestellt, sehr interessant. Du hast natürlich fast nichts ausgelassen, Bootsfahrt mit Luna auf dem Avon, Stadtbesichtigung, Geburtshaus usw. usw.!
    Und dann am Abend: As you like it, und du hast den Rollstuhl vergessen, ich habe laut gelacht.
    Es war gewiss auch ein unvergessliches Erlebnis!
    Startest du in die letzte Woche ( natürlich mit Luna und dem Dicken 😆), ich wünsche euch alles Gute und viel Spaß, passt auf euch auf, deine Bretagnemamie

    1. Da hast du vollkommen recht: Stratford hat wirklich viel zu bieten und gerade das „Embankment“ beim Theater ist immer sehr stimmungsvoll: viele fröhliche Menschen, gute Laune und meistens Musik. Ja und ich hatte nicht den Farbfilm, sondern den Rollstuhl vergessen – das bleibt unvergessen. Beute hat sich die Temperatur zum Glück etwas abgekühlt und wir haben noch 5Tage 🥰

  2. Ach, meine Beste… Ich bin eben erst zum lesen gekommen. Aber ich musste auch einige Male schmunzeln. Mir fiel die Bootstour auf der Fastenreise ein. Da kroch Luna zur Sicherheit auch zwischen deine Beine… Wie cool, dass du beim Theaterticket nicht gleich aufgegeben und so letztendlich sogar aus der 2. Reihe teilnehmen konntest! Das Wetter ist hier zu Hause auch nicht besser. Entweder regnet es oder ist brütend heiß… Genießt noch die letzten Tage in England und seid lieb gedrückt!

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