Ein Frage der Entscheidung

Wenn man einen Urlaubstag erlebt hat, kann man den z.B. so beschreiben:

VARIANTE 1

Um kurz vor 6 war die Nacht vorbei, weil Luna raus wollte. Ich musste nur noch schnell meine Schuhe anziehen und als ich vor der Tür stand, war nichts mehr von ihr zu sehen. Typisch, dachte ich und machte mir mein Frühstück. Nichts. Ich duschte, immer noch nichts. Dann wartete ich, lief durch die Umgebung, pfiff, rief, nix… 3 Stunden ging das so. Ich war verzweifelt, wieso haut der blöde Hund ab? Ich versuchte bei der Pferde-Ranch anzurufen, an der wir gestern vorbei gewandert waren, vielleicht ist sie ja dort aufgekreuzt? Natürlich ging wieder mal keiner ran. Als ich gerade alle möglichen Szenarien im Kopf durchspielte, kam meine Hündin völlig fertig angelaufen, ihr hinterher eine Frau im Auto, die sie wohl unterwegs beobachtet hatte. 

Na der Tag hat ja super angefangen. Das ging gleich weiter so: dir Straße zum ersten Ziel einfach unterwegs gesperrt, ohne Umleitung, na die hamse ja nich mehr alle!!

Weiter zum zweiten Ziel – Öffnung erst um 11:00, heißt wieder warten. Nettes kleines Herrenhaus mit riesigem Park und Damwild. Lunchen hat natürlich wie wild gezerrt. Als der Museumsmann aus dem Quatschen nicht mehr rauskommt und mir noch das und das zeigen will, fällt mir doch mein Handy auf den steinharten Boden – naklar, das musste jetzt auch noch sein! Die ganze Rückseite durchziehen Risse – sauteures Ding und jetzt das! 

Weiter gehts auf einem anderen Weg zu meinem ersten Ziel – hier dürfen Hunde nicht mit rein, ich soll doch drüben um den Teich laufen – na schönen Dank auch, da bin ich die  verdammt engen Strassen doch bei der Hitze nicht für hergegurkt. Ich habe Luna also draußen angebunden und bin trotzdem rein. Ganz nett hier.

Zum Schluss wollte ich mir noch so ein altes Dorf anschauen, aber da ist ja kein Parkplatz zu finden. Als ich das Womo dann doch noch irgendwo dazwischen gequetscht habe, warn da nur so 3-4 alte Häuser und der einzige Laden zu.

Und einen Stellplatz habe ich auch nicht gefunden, musste also an die Kirche von gestern zurück. Da ist mir dann auch noch das Weinglas runtergefallen und nach so einem Tag gibts noch nicht mal ein Restaurant. Ich hab mir mein Abendessen also wieder selbst gemacht. Das soll Urlaub sein?

Oder so:

VARIANTE 2:

Wir haben fantastisch geschlafen. Nur die Vögel zwitschern und niemand hat etwas dagegen, dass der Dicke hier steht. Beim Blick aus dem Fenster alles blau. WAS FÜR EIN GLÜCK wir mit dem Wetter haben. Kühle Morgenluft strömt durch die Fenster. Lunchen wedelt und will gleich raus. WAS FÜR EIN GLÜCK, dass ich meine kleine Madame dabei hab. Nicht so schnell kleine Maus – ich muss erst noch Schuhe anziehen, aber Luna umschnüffelt schon das Womo. Doch als ich rauskomme, ist nichts mehr von ihr zu sehen. Sicher ist sie drüben an der kleinen Kirche bei den Kaninchen, aber auch dort nichts. Noch mache ich mir keine großen Sorgen, denn bisher ist sie ja immer wieder zurückgekommen. Doch als sie immer länger wegbleibt, wird mir schon etwas mulmig. Ich muss hier warten, sicher kommt sie hierher zurück.

Doch auch nach 3 Stunden – ja echte Stunden, nicht nur gefühlte, wird mir Angst und Bange. Vielleicht ist sie drüben auf dem Pferdehof, da gibt es bestimmt Futter. Ich versuche anzurufen, aber leider geht niemand ran. Als ich schon kurz davor bin duchzudrehen, kommt sie müde und nass um die Ecke gewackelt. Gleich rein ins Womo und ab auf den Beifahrersitz – war die vielleicht froh. Hinter ihr fährt eine freundlich ältere Dame mit einem kleinen silbernen Auto auf den Parkplatz und fragt erleichtert lächelnd, ob das mein Hund sei. Ich kann in diesem Moment kaum antworten, da sich alle Panik gerade in Erleichterung verwandelt und mir kommen die Tränen. Die alte Dame tröstet erst mich und erzählt dann, dass Luna den letzten Rest ihrer „Tour“ auf der Strasse gelaufen ist und sie ganz langsam hinter ihr hergefahren ist, damit nichts passiert. WAS FÜR EIN GLÜCK, dass es diesen Schutzengel gibt. Ich bedanke mich überschwänglich und schon ist sie mit dem kleinen Auto davongefahren.

Symbolbild 😉

Nach einer kleinen Knuddelrunde und wieder neuen Vorsätzen, noch genauer aufzupassen, peile ich nach dieser Aufregung mein erstes Ziel an: Ightham Mote – mittelalterliches Wasserschlösschen. Doch unterwegs ist Schluss – Straße gesperrt. Da es hier eh schon ziemlich eng ist, wage ich mich nicht weiter und drehe um. Nun gut, dann eben Knole House zuerst, liegt ja faktisch nebenan. ZUM GLÜCK ist hier alles so dicht beisammen.

Das erste was hier auffällt: herrliche weite Parklandschaft mit Damwild, wie aus dem Bilderbuch. Hirsche mit schaufeligen Geweihen, Kühe und Kitze, alle helbraun mit weißen Tupfen – unzählig viele und ziemlich zahm. Auf Schildern wird man hingewiesen, dass man nicht füttern soll und sie in einem gewissen Sinn noch „wild lassen“ soll.

Das Schloss ist groß und das Geburtshaus von Vita. Seit 1281 gibt es an diesem Ort ein Anwesen, ab 1456 baute der Erzbischof von Canterbury darauf seinen ehrwürdigen Palast, der dann in der Reformation von Heinrich VIII. einkassiert und 1566 von seiner Tochter Elisabeth I an ihren Vetter Thomas Sackville, 1.Earl of Dorset verschenkt wurde. Eine so lange Tradition hatte diese Familie also hier, ehe am 9.März 1892 in diesen Gemäuern die einzige Tochter des amtierenden Barons geboren wurde: Victoria Mary Sackville-West, spätere Lady Nicolson, genannt Vita.

Dieses Bild hat sie gehasst und es in Sissinghurst versteckt – meint der Museumsmann… ich finde es sehr schön 😊

So riesig und mit einem derartigen Stammbaum hatte ich mir das nicht vorgestellt. Und wieso klagt dieses „Einzelkind“ später über Geldmangel, als sie ihren Garten in Sissinghurst anlegen will??? „Naja, meint die freundliche Museumsfrau – was die Reichen so als Geldmangel betrachten…“

Eigentlich will die Wärterin sowieso lieber über Vitas Cousin sprechen, Edward Sackville-West. Der nämlich durfte im Gegensatz zu Vita das ganze hier erben – nix da mit weiblicher Erbfolge. Das hat Vita ziemlich gewurmt und in ihrem ganzen Leben ist sie nie darüber hinweggekommen, so meint es wenigstens die Museumsdame.

Im Turm hatte der Cousin seine Wohnung mit Blick hinab in den Innenhof, der auch schon als Filmlocation diente. Eddy war allerdings ein kränklicher Musikkritiker und den schönen Künsten als auch den Männern zugetan, was leider im Englischen Königreich der damaligen Zeit verboten war, also Letzteres. Und so unterzog er sich in Deutschland bei Dr. Martin in Freiburg allerlei fragwürdiger Behandlungen, zu denen auch Hormontherapien und seltsame Injektionen gehörten, um sich von dieser „Krankheit“ zu kurieren. Sicherlich war das seiner Gesundheit nicht gerade zuträglich gewesen, was man auf dieser Zeichnung gut erkennen kann.

Da auch er keine Nachkommen hatte, ging das Anwesen an einen weiteren Zweig der Familie über, die es in den 50ern an den National Trust übergab – mit ewigem Wohnrecht und Besitzansprüchen an das Land. Alles andere finanziert nun der NT – so z.B. die wahnsinnig teure Rekonstruktion der Gebäude die um 2014 auseinander zu brechen drohten – schief ist die Wand in der Galerie noch immer, aber sie hält – so bekamen sie ein „multimillion-pound facelifting“(bbc). Davon sieht man leider nichts – alles unter der Oberfläche, aber die ist ZUM GLÜCK auch sehr schön.

In der Galerie alle Größen der Jahrhunderte im Portrait – darunter eine einzigartige Sammlung alter Sitzmöbel. Der Sammler – ein Vorbesitzer – war Berater am königlichen Hof und durfte immer dann ein Möbelstück mitnehmen, wenn es aus der Mode war oder nicht mehr gefiel. So entstand die einmalige Sammlung von Möbelstücken der Tudor-Zeit. Ein wirklich bedeutendes Stück, über das wir sicher heute noch froh sind, ist die Mutter aller Sofas: nach ihr wurden die Sofas der Folgezeit gefertigt und noch heute kann man ein klassisches „Knole Sofa“ zum Schnäppchenpreis von 4590,- € kaufen. ZUM GLÜCK habe ich schon ein andres bequemes.

Das Original – hinter Glas… sieht eigentlich nicht sehr bequem aus…

Bei diesem Sessel konnte man übrigens die Armlehnen restaurieren, weil der Möbelbauer ziemlich viel Nahtzugabe unter der Sitzfläche gegeben hatte.

Spannend auch die Sonderausstellung zur Hochzeit der berühmten Tochter des Hauses mit dem Konsul Harold Nicolson. Das war im Jahre 1913 das gesellschaftliche Großereignis des Jahres. Nicht nur Hochzeitsbilder, sondern auch die Geschenkelisten wurden in der Zeitung abgedruckt, so konnte sich jeder edle Schenker auch noch mit seinem Geschenk nach außen brüsten.

Das erzählt mir der fröhliche Museumsmann und während er mich auf den riesigen hölzernen Lettner in der Eingangshalle hinweisen will,

rutscht mir doch mein Handy aus der Hand und fällt auf die steinernen Fliesen. Eigentlich bin ich mir sicher, dass mit all den Schutzhüllen nichts passiert, aber dann sehe ich es doch. Die komplette Rückseite  ist von Rissen überzogen. Puh – heute ist einfach nicht mein Tag. Aber ZUM GLÜCK funktioniert alles noch. Das wäre jetzt echt blöd gewesen – kein Internet, kein Blog, kein Navi, kein Kontakt, kein Telefon… Aber das ist nur ein Schönheitsfehler. Ich muss mal in Jena fragen, ob man da noch was auswechseln kann. 

Tausende Purpur-Fingerhüte

Genug erfahren und angeschaut. Jetzt ist Luna wieder dran. Wir machen uns auf den Weg durch den wunderschönen Landschaftspark und auch wenn es die Sonne gerade wieder sehr gut meint: ich hab ja ZUM GLÜCK einen wunderbaren Sonnenhut. Lunchen ist zwar ganz neugierig auf die vielen Rehe, aber solange keins wegläuft scheint sie ganz entspannt. Ab und zu ist ihr typisches Piepsen zu vernehmen, aber im Großen und Ganzen schlägt sie sich tapfer und meistert die Herausforderung gut. Nur bei den Häschen, da ist kaum ein Halten.

Da die Frau mir an der Ticketbox versprochen hat, das Ziel 1 – Ightham Mote – noch geöffnet hat, versuche ich nun einen zweiten Anlauf und ZUM GLÜCK klappt der auf verschlungenen Wegen. Lunchen suche ich einen Platz im Schatten vor dem Tor mit einem Schüsselchen Wasser und einer freundlichen Einlassfrau daneben. Jetzt kann ich ZUM GLÜCK auch noch einen Blick auf dieses Schmuckstück erhaschen.

Die große Hundehütte ist übrigens auch in die Liste der erhaltenswerten Baudenkmäler aufgenommen und nach dem Rundgang gönne ich mir einen Kaffe und Luna bekommt das Highlight des Tages: Hunde-Eis.

Nun neigt sich ein ereignisreicher Tag dem Ende entgegen und nach mehreren vergeblichen Übernachtungsplatz-Versuchen merke ich, dass es nur noch 6km zum Chagall-Kirchlein sind. Na WAS FÜR EIN GLÜCK, dass wir den Platz schon kennen. 

Wir halten nochmal kurz in Chiddingstone an. 4-5 mittelalterliche Häuser säumen die Straße und sind ebenfalls in der Obhut des National Trust. Echt niedlich. Auch ein Schloss gibt es hier, aber das wird mir heute zu viel. 

Es folgt ein gemütliches Abendbrot in der Abenddämmerung, bei dem mir das hoffentlich letzte Missgeschick für diesen Urlaub passiert – ich schmeiß das Glas Sommerfrische um und obwohl es auf den Rasen fällt, zerplatzt es – ZUM GLÜCK – in große Splitter, die ich gut einsammeln kann – war eh nur ein altes Senfglas. Zufrieden und ein bissl geschafft schreib ich nun diese Zeilen mit Wein aus dem Bierglas. Das mit dem Internet wird schwierig, mal sehen ob es alles hochlädt, schaumer mal. Es ist mild, windstill, total ruhig und hinten zwitschert ein einzelner Vogel in der Dämmerung – klingt wie eine Nachtigall… und wenn nicht, auch egal – schön isses. 

an der langen Leine

Das mit dem GLÜCK ist manchmal eben auch eine Frage der Entscheidung – oder?

Kommt gut durch die Nacht.

6 Gedanken zu „Ein Frage der Entscheidung“

  1. Liebe Marion,
    Du hast es wieder herrlich auf den Punkt gebracht 😉! Wir freuen uns Eure Reise zu verfolgen und die wunderbaren Eindrücke zu teilen. Seid ganz lieb gegrüßt
    von der ganzen Bande🥰!

  2. Zum Glück kann dir nichts deine gute Laune und Reiselust verderben. Bei Lunas Verschwinden verstehe ich die Panik und Tränen, ich habe hier fast mitgeweint. Aber alles andere ist nur Material. Wichtig ist die schöne Zeit, die ihr zum Glück miteinander verbringen könnt. In wunderschöner Landschaft und bei herrlichem Wetter… Ich war gestern mit Ines in der Plinzmühle zum Picknick und abends saß ich mit Petra auf der Terasse, bis es dunkel wurde. Mit Rosé Gallé… Das Leben kann so schön sein, wenn man es zulässt. Sei lieb gedrückt und megafetten Knuddler an Lunchen….

    1. Das klingt wunderbar- lass und das Leben genießen 😊 und uns wegen des „Material“ nicht ärgen 🍀🍀🍀
      Fetten Drücker zurück 🥰

  3. Bonjour, liebe Marion, Variante 1 war ja einfach nur grausig. Ich dachte schon: jetzt setzt sie rüber aufs Festland, aber dann glückliche Heimkehr von Luna, ja, meine Liebe, ich als alte Hundbesitzerin finde dich manchmal einfach zu mutig. Pass gut auf Lunchen auf.
    Dann hattest du ja doch noch einen wunderschönen Tag mit kleinen Pannen. Ich war wieder begeistert über all das, was du so toll beschreibst. Love the english people and their wonderful countryside.
    Was wirst du heute alles wieder erkunden? Bin schon richtig auf morgen gespannt!
    Bonne journée, Marietheres

    1. Oh, ja, ich höre deine gestrenge Stimme in meinem Ohr und muss sagen, ich hab wirklich Angst gehabt. Aber jetzt ist das „Holzauge wachsam“ und die Leine einfach immer dran. Vor allem bei den vielen Eichhörnchen 🐿️ hier. Viel Spaß beim neuen Beitrag und liebste Grüße aus UK – ich liebe es auch 🇬🇧

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