Ausgebremst!

Als die zwölfjährige Mary Anning an diesem Tag aufwachte, ahnte sie nicht, was sie heute am Strand finden würde. In Lyme Regis lebte sie und buddelte 1811 ein elf Meter langes Ichtyosaurusskellet aus dem Sand. Damit löste sie ein Fossilienfieber aus, was in dieser Gegend bis heute nicht ganz verschwunden ist. Mary hingegen wurde – ohne das jemals studiert zu haben – eine der renommiertesten Paläontologinnen Englands und blieb ihrer Leidenschaft ein Leben lang treu. Mit ihrer Hündin Tray ist sie hier dargestellt.

Lyme Regis ist unser erster Stopp am heutigen Tag und vom großzügigen Parkplatz oberhalb der Bucht führen 114 Stufen hinunter zur Mole. Dort wird man gleich in die Geheimnisse der Fossilienkunde eingeweiht und wenn erst die Flut weicht, wird auch der Strand von Fossiliensammlern besucht.

Wir allerdings schlendern vor zum beschaulichen Städtchen immer am Strand entlang. Das Wetter soll schlechter werden, hat mich gestern der Mann im kleinen Paradies-Garten aufgeklärt, aber ich finde die ruhige Morgenstimmung hier wunderbar. Auch die Temperaturen um die 20 Grad reichen mir völlig aus.

Lyme Regis war zu zeiten Jane Austens ein bedeutendes Seebad. Umsomehr, als sie einen ihrer Romane hier spielen lies: The French Lieutenant’s Woman. Dieser wurde 1980 sogar mit Meryl Streep und Jeremy Irons vor Ort verfilmt.

Heute freut man sich über die immer noch erhaltene dörfliche Atmosphäre und ich bummel am Strand, streife durch die kleinen Gassen, lasse mich treiben.

Ein weiterer berühmter Bürger Lyme Regis schaut hier aus der Parklanlage über die Bucht. Admiral Sir Georg Sommers. Er gilt seit 1610 als Entdecker und erster Kartierer (nennt man so die Leute, die Landkarten zeichnen?) Bermudas und hat sich als Seemann einen großen Namen gemacht.

Wunderbar einladend ist auch das kleine Viertel um die alte Wassermühle. Dort gibt es neben Restaurants eine Brauerei, Kunstgalerien, eine Bäckerei und einen Töpfer.

Ich schaue mir die Ausstellung „Landmarks“ von Hilary Buckley genau an, weil sie mit ihren fröhlichen Farben und verschiedenen Stilistiken sehr einladend wirkt. Die Künstlerin ist selbst anwesend und erzählt, dass das ihre erste Einzelausstellung sei. Gleich erkenne ich sie wieder unsere kreisrunde Bucht von neulich.

Beim Bäcker kaufe ich noch ein leckeres Brot und setze mich dann für einen Kaffee an die Promenade. Sally setzt sich dazu. Eine Frau in meinem Alter, hier aus der Gegend und Kindergärtnerin. Heute hat sie frei und gönnt sich eine Auszeit am Strand. Wir schwatzen über Hunde, die Kinder, die wir in unserer beruflichen Obhut haben, das Reisen und das Leben. Herrlich. Lunchen liegt brav dabei und hofft auf einen Krümel von Sallys Streuselschnecke. Auf dem Rückweg zu unserem Womo treffen wir noch dieses wunderschöne Tierchen und nun ratet mal, wen der Katzenblick hier gerade fixiert.

„Verborgen in einem schmalen, zum Strand hin abfallenden Tal zwischen den Klippen duckt sich ein altes Dorf, in dem die Zeit stehengeblieben scheint, in die Landschaft.“

Wenn ein Reiseführer das Dörfchen Branscombe so beschreibt, dann muss ich da einfach hin. Aber wenn dort noch steht, dass man sich die Idylle durch unfassbar enge Zufahrtsstrassen erkaufen muss, so haben die Polizisten derweil Fakten geschaffen: keine Durchfahrt für Womos. Deshalb parke ich den Dicken auf dem großzügigen Parkplatz der Quarry Cave, einer Höhle oberhalb des Ortes. Von hier aus kann man einen Rundgang über Branscombe nach Beer und wieder zum Ausgangspunkt unternehmen. Und schon kanns losgehen.

Da unten liegt es, das beschriebene Paradies, ich aber laufe weiter, vorbei an einer Pension mit dem eindrucksvollsten Walnussbaum… hier würde ich am liebsten bleiben …

weiter bis zum gemütlichen Strand.

Ein paar einsame Urlauber, viele fröhliche und nicht verbotene Hunde verbringen hier neben einem netten Café den Tag. Da oben links geht er weiter, mein Küstenwanderweg, hinauf zu den Klippen mit einem wunderschönen Blick.

Plötzlich ein klapperndes Geräusch. Hämmerchen treffen auf Gestein. Da sind sie am Werk – die Jäger der Brontosaurusse, oder auf welchen Tagesgewinn sie auch immer heute hoffen. 😜

Auf der anderen Seite wandert man entspannt über Wiesen und kann nach dem Aufstieg erst einmal durchatmen. Ich fühle mich an den Familienausflug von Spitzweg erinnert. Den zeige ich meinen Schülern immer, wenn es um Biedermeier geht, also sagen wir ruhig: bürgerliche Spießigkeit. Aber nun bin ich selbst so eine. Ich mag das einfach: alles friedlich und weit weg von allem Ärger. Und das bestätigen mir auch zwei Briten meines Alters. Ein Ehepaar mit Hund, wir kommen – wie sollte es hier auch anders sein – ins Gespräch. Ah Jena, das kennt er, die Objektive, na klar. Außerdem hatte er mal beruflich mit Oberkochen zu tun. Und er erzählt sogar die Geschichte von den LKWs, die nach dem Krieg in Jena mit den wichtigsten Sachen losgefahren sind, gen Westen. Dort wo der Sprit alle war – in Oberkochen auf der grünen Wiese – wurde das neue Werk gebaut. 😉 Die Story kannte. Ja und beide bestätigen, dass sie auch nichts weiter brauchen als ihren CamperVan, Natur, Ruhe und den Hund. Spießer eben…

Achso, der Weißdorn. Das ist ja hier so eine Art Nationalpflanze. Jede Landstraße, jedes Feld, jeder Garten ist damit umgrenzt und die Mär sagt, dass der Zauberer Merlin, als er von der Fee Viviane verzaubert wurde unter einem Weißdorn eingeschlafen sei. Noch heute schläft er dort bis zum Ende aller Zeiten. Zauberstäbe werden aus Weißdorn gefertigt, Herztinkturen erstellt… und was machen diese Kühe hier voll Genuss? … ja auch dafür ist der Weißdorn anscheinend gut geeignet.

…wenns mal juckt… Weißdornpräperate nutzen!

In Beer versage ich mir ein Getränk gleichen Namens und kraxele, nachdem ich ihn gerade herebgestiegen bin, den nächsten Hügel wieder hinauf. Da oben befindet sich ein Pecorama… was soll das denn sein?

Erste verwirrende Hinweise ergibt ein Eisenbahnwaggon – oben auf einem Hügel???

1978 hat man einen Waggon des Orion-Zuges hierhergebracht und ausgestellt. Na mit dieser Ausstattung reiste es sich ja bequem!

Doch ich weiß immer noch nicht, was das denn hier soll. Ich steige noch ein paar Stufen hoch und komme zu einem kleinen Tickethäuschen. Man solle seine Onlinetickets unaufgefordert bereithalten… Onlineticket??? Ich beschließe, den Man am Schalter erst einmal zu fragen, was das denn hier sei. „Eine Miniatureisenbahn!“, ruft er fröhlich. „Kommen Sie rein und fahren Sie mit, it`s free!“ Natürlich nicht, die Preise stehen ja dran, aber im letzten Zug des Tages sind noch zwei Plätze frei und er lädt mich sozusagen ein und schießt auch gleich noch ein Bild von uns zwei Zugfahrern.

„Hier fahren wir mit traditionell kohle-befeuerten Dampflokomotiven“ steht auf dem Schild und auch der Schaffner, die Trillerpfeife und der Lokomotivenpfiff sind authentisch. Und so fahren wir 10 Minuten durch einen superschönen Park mit Ausblick auf die Bucht von Beer auf einen minikleinen Bahn. Die Spurbreite scheint mir nicht mehr als 30cm zu sein…

Luna ist die Sache am Anfang suspekt, dann entspannt sie sich und im Ankunftsbahnhof passe ich einen Moment nicht auf und sie springt aus dem noch fahrenden Zug… was kein wirkliches Problem ist, denn der fährt kaum noch Schritt und sie läuft – zur Freude der Passagiere – das letzte Stück nebenher an der Leine.

Vorsicht und Schnauze zurück an der Bahnsteigkante!

Dann laufen wir noch gemütlich und fast alleine durch den wunderschön angelegten Park.

Nun ist es nicht mehr weit bis zurück zum Parkplatz, doch auf dem letzten Stück versuche ich dann noch eine Abkürzung, was ja meistens schief geht, so auch heute. Es wird steil, brennnesselig, brombeerdicht und anstrengend, aber wir kommen gegen 16:30 Uhr am Ausgangspunkt an. Hat der Parkplatz eigentlich ein Tor? Gerade sehe ich ein kleine grünes Auto herauskommen – prima, dann ist ja noch geöffnet! Doch als wir ankommen sehen wir das:

Dann war das wohl das Schließpersonal, was wir eben verpasst haben… naja, dann ist es eben so und der Stellplatz gar nicht mal so schlecht. Ich hatte gerade überlegt, ob ich heute noch in den Dartmoore-NP fahren sollte (heute beginnen hier die Ferien – also wird morgen viel Verkehr sein). Aber da hat mich das Schicksal ausgebremst. Eigentlich sehr gut, da kommt mehr Ruhe rein. Also ab über den Zaun und erst einmal die Küche angefeuert. Am Womo entdecke ich dann noch einen Zettel

Aber ich rufe nicht an… mir gefällts hier. Nach dem Essen erkunden wir die Gegend. Ein kleines Bistro, Tickethaus, Toiletten (leider verschlossen) und natürlich die Höhle. Auch hier Gitter davor, damit die Fledermäuse hereinkönnen. Schon mehrere Meter vor dem Höhleneingang schlägt einem der feucht-kalte Atem entgegen. Wahnsinn, was das ausmacht. Links und rechts wächst und gedeiht eine wunderbare Artenvielfalt.

Sogar ein Theaterstück spielen sie demnächst in der Höhle.
Einen Blick durchs Gitter kann man erhaschen – Hier ist ja noch Licht?

In der Höhle brennt noch Licht… und mir ist, als höre ich ein Geräusch… sicher die Fledermäuse. Wir gehen zurück zum Auto und Luna ist erst einmal breit für heute.

Dann kommt aber doch noch ein Mann, von oben aus Richtung Höhle, sag ich doch, da war was. Ich erzähle ihm, dass ich zu spät kam und frage ob es ein Problem wäre, wenn wir hier stehenbleiben. Er sei zwar nicht der Boss, aber sicher sei das kein Problem. „Morgen früh um 8:00 schließ ich wieder auf.“ Na prima und Tschüss! So schnell kanns gehen.

Dann würde ich mal sagen: Guts Nächtle!

4 Gedanken zu „Ausgebremst!“

  1. Hallo liebe Marion
    nachdem wir heute bei unserer Fahrradtour in Gewitter und Starkregen gekommen sind, genieße ich deinen Tag mit Sonne und vielen Begegnungen. Die Bilder sind so schön und deine Kommentare ….eine tolle und persönliche Doku☀️
    Als mein Highlight habe ich heute den Augentrost gefunden und eine Wiese mit gelben Blumen (hoffte es ist die echte Arnika und Flora App ohne Empfang)aber leider war es der Wiesenbocksbart. Trotzdem eine schöne Blume und kurz drauf hat uns das schlechte Wetter erreicht. Dein Blog hat mir den Abend verschönt und ist mir ans Herz gewachsen.
    Freue mich schon auf dein nächstes Abenteuer 🙋‍♀️
    Liebe Grüße Sabine 🌻

  2. Das freut mich sehr und ich werde berichten ☺️ Die App hat einen offline-Modus. Da speichert sie die Bilder und man kann sie bestimmen, wenn man wieder online ist. Das habe ich hier schon oft genutzt. Augentrost wächst auch in Dover auf dem Felsen. Eine solche Vielfalt habe ich bisher nicht wieder gesehen. Heute hab ich die Gauklerblume kennengelernt und den Sommerwurz gefunden… du erinnerst dich: Schmatotzer und ziemlich braun 😉 Man geht mit anderen Augen als Gundermann-Schüler 😂
    Liebe Grüße und hoffentlich bald besseres Wetter

  3. Toll was du und Luna so erleben und wie immer herrlich erfrischend geschrieben, ich wünsche euch noch viele tolle Abenteuer, ich bin hier immer mit dabei !! Liebe Grüße

    1. Ja das tun wir. Man muss einfach losfahren und mit allem rechnen 😂 Dann passieren die Dinge von allein. Auf jeden Fall macht es wieder sehr viel spaß und Luna ist voll dabei 🐶 Liebe Grüße in die Heimat 🐶🙋🏻‍♀️

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