Der Tag beginnt 6:20 – immerhin ein Stunde später als sonst ist Luna startklar. Wir schlendern an den See des Zeltplatzes und genießen die morgendliche Ruhe vor dem Sturm. Zwei Frauen machen schweigend Yoga am See und die Sonne leuchtet einen wunderschönen Tag ein.
Zwei Stunden später bin ich startklar. Nach einem guten Frühstück und einem Rundherum-Sorglos-Paket für das Womo bezahle ich ca. 35 Euro für die Nacht mit Strom. Reicht erst einmal für die nächsten 3 Tage. Ahoi, netter kleiner Zeltplatz.
Übrigens gibt es ganz in der Nähe des Platzes, mitten in Älmhult ein IKEA-Museum, denn Ingvar Kamprad, der Gründer der Firma, wurde hier geboren. Der erste IKEA-Laden, der hier im Ort eröffnete, ist heute, nach 70 Jahren ein Museum. Auch der Naturforscher Carl von Linné kam im Nachbarort 1707 auf die Welt. Man kann sein Geburtshaus besuchen, wenn man will.
Ich fahre aber lieber noch nach Kyrkö Mosse zum dortigen Autofriedhof… Jep, genau, den schaue ich mir hier im wunderschönen Schweden an, denn es steckt eine wirklich skurrile Geschichte dahinter.
Kennt ihr Åke?

Nein, dann will ich ihn euch kurz vorstellen.
Åke – auch genannt Åke vom Moor – kommt 1914 in Tröjemåla zur Welt und arbeitet nach einer kurzen Schulzeit als Knecht in den Provinzen Skåne und Småland. 1935 kauft er dann in der Nähe von Ryd ein Stück Torfmoor und einen Spaten. Nun arbeitet er für sich selbst als Torfstecher und erfindet dafür einige technische Hilfsmittel, wie z.B. Torfwagenschienen aus Kiefernästen. 🙂 Mit Torf ließ sich damals gut Geld verdienen, denn nachdem die Bauern ihn mit Hilfe der Schweine im Stall mit wertvoller Sch… angereichert hatten, galt er als gutes Düngemittel.
Åke wohnte in einer 12 Quadratmeter Hütte in seinem Moor. Diese hatte er selbst gebaut und mit Torf isoliert.


Nach dem 2.WK kommt Åke eine andere Idee. Nun sammelt er alte Autowracks ein, die die Besitzer in der Umwelt entsorgt hatten. Er befreit sie von umweltschädlichen Flüssigkeiten und verkauft die gefragten Ersatzteile. So sammelt er auf seinem Boden ca. 150 Schrottautos, LKWs, Fahrräder und sogar die Reste eines abgestürzten Bombers aus dem 2.WK sollen hier irgendwo herumliegen.


Als Åke 1992 ins Altersheim kommt, überlegt die Gemeinde, was mit seinem Schrotthaufen geschehen soll. Man entschließt sich, alles so zu belassen und die Natur kann sich nun alle Reste wieder zurückerobern. „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ steht am Eingangsschild und bei manchen Wracks ist das wörtlich zu nehmen.

Mittlerweile ist es ein fotogener Ort geworden und sogar eine Klanginstallation mit dem Titel „Cars Choir“ ist zu belauschen.

Ein skurriler Ort, der Geschichten zu erzählen scheint. In den 80er Jahren freundete sich die Fotografin Kerstin Bengtsson mit Åke an und hat die Ausstellung mit Begleitmaterial auf Schildern versehen.
Das war ein Tagesbeginn nach meinem Geschmack. Weiter gehts in Richtung Lessebo. Neben einer Papierfabrik ist das auch der Einstieg ins Glasreich – einem Gebiet mit bis zu 40 Glasmanufakturen.
Unterwegs mache ich einen kleinen Zwischenstopp an der Blindingsholmbron – einer Brücke aus dem 19.Jhd., die den Mörrumsån überspannt, einen Fluss, auf dem man bis zum Åsnensee paddeln kann. Neben der Brücke gibt es auch eine Stelle zum Umtragen der Boote.


Außerdem befinden sich an einigen der 8 Bögen fest installierte, mittelalterliche Aalfanggeräte, sogenannte Värmane. Diese funktionieren heute noch und nutzen die Strömung, gegen die es die Fische nicht schaffen, aus der sich verengenden Konstruktion herauszuschwimmen.
Luna hat ihre Freude am Wasser und ich vertrete mir die Beine, dazu scheint die Sonne… alles gut!

Die Papierfabrik Lessebo, in der heute noch gearbeitet wird, leistet sich ein kleines Beiwerk: die „Handpapersbruk“. In einem Nebengebäude werden handgeschöpfte Papiere verkauft, Vorführungen und Kurse abgehalten, aber auch Konzerte oder Lesungen finden hier statt.
So entstehen Wasserzeichen, wenn man ein fein geflochtenes Bildchen in den Schöpfrahmen einarbeitet.
Ein kleines Cafe rundet alles ab. Herrlich. Ich schau mir alles an, gönne mir einen Kaffee und ein Stück Kuchen auf der gemütlichen Couch und durchstöbere ausgestelltes Tourimaterial. Vielleicht bleibe ich ja doch noch ein bisschen in der Gegend, denn hier nähern sich die Bedingungen schon eher meinem Traum von Urlaub, zumindest was die Anzahl der Menschen betrifft.




Mein nächstes Ziel ist die Glasbläserei in Bergdala. Nach 10km auf einspuriger Straße durch den Wald, ab und zu aufblitzenden rot-weißen Holzhäusern ohne Garten oder Zaun, sodass man gar nicht weiß, wie weit man Rasen mähen soll, zeigt mein Navi: „Bergdala Zentrum – 60m“. Hä? Einen Ort(!) mit Glasbläser-Werkstatt hatte ich mir anders vorgestellt. Das hier ist alles:


Wenige Zuschauer haben in der Werksatt auf den fünf alten Stühlen Platz genommen, um dem traditionsreichen Handwerk zuzuschauen. Auch ich verfolge gebannt, wie sich die glutheißen Glasklumpen verformen lassen.


Im nächsten Eingang kann man Glaswaren mit dem typischen Bergala-Blau kaufen.


Der Renner aber ist das kleine Museum, was sich hinter dem Hauptgebäude befindet. Ich trete ein. „DingDong“ macht eine Klingel und ein kleines Männchen erscheint. Etwas ungepflegt der Bart, die Kleidung und diese Zääähne… aber freundlich zum Steinerweichen. Und dann fange ich an, das ganze Setting zu mögen. Detailreich, mit drehbaren Dreieckszylindern versehen, auf jeder Seite die Erklärung in einer anderen Sprachen (Schwedisch/Englisch/Deutsch), werden alle Objekte erklärt. QR-Codes verweisen auf selbstgemachte Youtube-Audio-Guides in ebendiesen Sprachen. Außerdem gibt es laminierte Hefte, die auf der jeweiligen Vorderseite die Fakten in 60 Sekunden lesbar erklären, auf der Rückseite die Vertiefung des Themas anbieten. Und immer das Männchen in gut verständlichem Englisch: Er würde mir bei jeder Frage behilflich sein.

Ich bin der einzige Besucher und wir kommen ins Gespräch: Nein er sei kein Glasbläser gewesen, aber das Thema und das Museum liege ihm am Herzen. Was der Unterschied zwischen einem Pantografen und einer Guilloché-Maschine sei, das könne man hier ganz wunderbar erkennen. Ja und die Fotoätztechnik, die habe… „Ding Dong“ Eine 11-köpfige deutsche Familie betritt die Szenerie. Eigentlich sehen sie aus, wie seine Verwandten – auch etwas verwildert, aber ebenfalls sehr liebenswert, so ein bisschen wie die Kelly-Family: dominanter Vater, viele Kinder (meist rothaarig) und eine zurückhaltende (leider schlanke) Mutter (sonst wäre der Vergleich zu perfekt).

Nun gibt das Männchen dem Vater die Stellvertreterposition. Er muss den englischen Vortrag für die Kinder übersetzen, bekommt das 60 Sekunden-Heftchen in die Hand und wird zur Führung verdonnert, was er auch folgsam absolviert… wunderbar, man hätte einen Film drehen können.


Am Ausgang bekomme ich noch ein ebenso selbstgemachtes Faltblatt mit dem Hinweis auf die Website in die Hand gedrückt. Da könne ich mich dann noch einmal tiefergehend informieren. Also: Wen das Thema „Wie ätze ich Muster in Gläser?“ tiefgreifend interessiert – hier der Link zum Webauftritt eines wirklich ganz besonders liebenswerten Museums.
Ach komm, denk ich mir, eine geht noch. Vielleicht kann man noch ein Kleinod der Glasbläserkunst entdecken. Kosta ist der nächste Stopp im Glasreich. Ein riesiger Parkplatz, vollgestopft mit PKW und Womos empfängt mich vor dem Werksgebäude. Und wie auf Kommando geht ein Platzregen hernieder und so mache ich erst einmal Mittagspause. Als die Sonne wieder scheint, marschiere ich los und wundere mich schon über das Wort „Outlet“ über dem Eingang… Glas-Outlet vielleicht? Weit gefehlt – ich trete ein und stehe in einer … Einkaufsmeile… was soll ich denn hier???


Ein Blick auf den Plan verrät, dass sie um die Glasbläserei herumgebaut wurde. Gern würde ich auch hier noch einmal den Glasbläsern bei der Arbeit zuschauen, aber man braucht Tickets, die gibts im Internet und für heute ist alles ausgebucht… okay, mein Favorit steht fest. Dieser Massenauflauf hier ist es jedenfalls nicht. Außerdem muss ich feststellen, dass mir der angebotene bunte Glaskitsch hier sowieso nicht gefällt. Handarbeit hin oder her! Nur die Kannen mit dem schlichten blauen Rand in Bergdala fand ich toll – aber nicht für 90,-€.
So, und nun muss ich nachdenken!
Kalmar und Öland (morgen ist Freitag und sicher wird am Meer wieder Höllenbetrieb sein). Oder doch noch ein bisschen hier verweilen (so in Richtung Växjö rechts durchs Gebüsch an einen See verkriechen)
Hier meine Entscheidung:


Nur falls mich einer sucht:

Ach herrlich, diese Glasbläserei… Und dazu der blonde Glasbläser. Ich bin begeistert… Aber am coolsten ist ja wohl der Autofriedhof. Ich finde es phantastisch, dass du deine Blogeinträge immer mit Bildern und auch Videos gestaltest. Da ist man irgendwie live dabei. Danke für diese herrlichen Impressionen und das detailreiche Hintergrundwissen, liebe Marion. Habt morgen einen schönen und erlebnisreichen Tag! Liebe Grüße